: „Gott segne unser Land“
... sagt der frisch gewählte Bundespräsident Horst Köhler. Haben wir das nötig? Neun Antworten
Horst Köhlers erste Rede ist ein Paradebeispiel dafür, wie man mit Stichworten Debatten lenkt. Von dieser Rede dürften zwei Formeln in Erinnerung bleiben: „Ich liebe unser Land“ und „Gott segne unser Land“. Dies sind geistig-kulturelle Codeworte, die ein seit der NS-Zeit beflecktes, teils unmöglich gewordenes Erbe aufrufen: Vaterlandsliebe und die Indienstnahme Gottes für Politik. Auch konservative Bundespräsidenten haben diese Formeln bislang vermieden.
Also mal wieder ein rechter Rollbackversuch? Es ist etwas schwieriger. Bei dem Ex-Wehrmachtsleutnant Karl Carstens wäre dies vor zwanzig Jahren zu Recht als Versuch gelesen worden, deutsche Schuld zu relativieren. Köhlers Gottesanrufung wirkt indes eher wie ein Zitat aus den USA. Die Begründung seiner Vaterlandsliebe ist bemerkenswert privat: „Deutschland hat mir viel gegeben, davon möchte ich etwas zurückgeben.“ Diese Republik hat ihm, dem Flüchtlingskind aus der Unterklasse (wie Joschka Fischer) den sozialen Aufstieg ermöglicht – daher seine Dankbarkeit. Dieser Patriotismus hat etwas Geschäftsmäßiges, Pragmatisches. Man kann das kritisieren, aber man muss hinter das Reiz-Reaktions-Schema der Signalworte schauen.
Vor allem ist Köhlers Rede mehrfach lesbar. Es ist für jeden was dabei: Für die Rechten die patriotische Rhetorik – mit der auf Gerechtigkeit geeichten Linken meint auch Köhler, dass „Globalisierung den Armen zugute kommen“ und Deutschland seine Märkte für deren Produkte öffnen muss. Mit den Technokraten, denen sowieso alles zu langsam geht, ist Köhler der Ansicht, dass „mehr Entschlossenheit und Tatkraft“ bei den Sozialreformen und „neue Gründerjahre“ Not tun. Jenen, die den Sozialstaat retten wollen, dürfte der Satz gefallen, dass „unsere Gesellschaft unakzeptable Spaltungstendenzen“ bedrohen. Mit den Frauen fragt Köhler, wie es gelingen kann, „Beruf und Familie besser zu vereinbaren“, mit den Kulturkonservativen hält er Kinderlosigkeit für ein Zeichen von Zukunftsangst.
An Ausgewogenheit ist diese Rede schwer zu überbieten. Ihr Kunststück besteht darin, die Symbolworte „Gott“ und „Patriotismus“ elegant abzufedern und in einen respektablen argumentativen Kontext einzubinden.
Köhler ist eifriger Verfechter der These, die Agenda 2010 gehe längst nicht weit genug. Die Linke hat mit ihm einen Gegner im Präsidentenamt, zweifellos. Aber einen, der sich geschickter auf symbolische Politik versteht, als es die linke Anti-Köhler-Propaganda bislang ahnen lässt. STEFAN REINECKE
Im Moment herrscht in Deutschland eine Politik, bei der vielen nur noch bleibt, auf himmlischen Beistand zu hoffen. Die Erfahrung lehrt allerdings, dass der selten hilft. Deshalb: den Glauben des neuen Bundespräsidenten in allen Ehren. Deutschland aber braucht keine göttlichen Segnungen, sondern die Segnung einer anderen, einer besseren, einer gerechteren, in diesem Sinne dann auch christlichen Politik. Dafür wäre es wohl sogar hilfreich, wenn sich der eine oder die andere zum Beispiel an das Sozialwort der Kirchen erinnerte, bevor er oder sie die nächsten Einschnitte ins soziale Netz planen.
LOTHAR BISKY, 62, Philosoph und Kulturwissenschaftler, ist Parteivorsitzender der PDS
Der neue Bundespräsident kann genauso fließend Milchbrei sprechen wie der alte. „Kinder sind Brücken in die Welt von morgen“, malmt Horst Köhler in seiner weitgehend gehirnfreien Antrittsrede. Köhler, dem praktische Intelligenz nachgesagt wird, hat kopfmäßig nichts zu bieten, sondern heizt steinalte Phantomgefühle an. Das Dreigroschenbekenntnis „Ich liebe unser Land“ flanscht sich an diejenigen Landsleute an, die sich Deutschland immer nur mit Ausrufungszeichen vorstellen können. Beim Händeschütteln mit dem früheren nationalsozialistischen Marinerichter Hans Filbinger zeigt Köhler, wie er diesen Patriotismus versteht: als feste Entschlossenheit, mit reueresistenten Nazis kompetent herumzukumpeln. Mit einem noch olleren Atavismus schloss der als Reformer und Erneuerer feilgebotene Köhler seine Rede: „Gott segne unser Land.“ Religion ist Privatsache, alles andere ist unzivilisiert. Die Antwort des Westens auf den islamischen Fundamentalismus ist der christliche Fundamentalismus. So klug sind hier die Leute, so modern ist Horst Köhler.
WIGLAF DROSTE, 42, ist Sänger des Spardosen-Terzetts und Mitherausgeber der Zeitschrift Häuptling Eigener Herd
Für jeden Gläubigen in unserem Land war es eine Herzensfreude, den Segenswunsch des gewählten Bundespräsidenten gehört zu haben, auch für uns Muslime. Wir haben kein Problem mit dem Begriff „Gott“. Gott, der Schöpfer aller Menschen, verbindet die gesamte Menschheit. Er verbindet uns in einer besonderen Weise mit den Anhängern der Offenbarungsreligionen. Den Segen dieses einen Gottes braucht unser Land in der Tat. Es braucht mehr Religiosität und Rückbesinnung auf die ethischen Grundsätze aller Religionen, es braucht den Segenswunsch eines jeden Menschen, gleichgültig in welchem Bekenntnis er beheimatet ist. Der Begriff „Gott“, wie er im Grundgesetz verwendet wird, schließt keinen Menschen aus, auch nicht die 500.000 deutschen Muslime. Diese und die drei Millionen – noch – nicht deutschen Muslime bezog der gewählte Bundespräsident in seine Rede mit ein: „Ich will Präsident aller Deutschen sein und ein Präsident für alle Menschen, die hier leben.“ Dies ist eine Steigerung – oder vielleicht nur eine Verdeutlichung – der Aussage von Altbundespräsident Herzog, der es bei der Formulierung belassen hatte: „Ich will Bundespräsident aller Deutschen sein.“ Nicht nur deswegen und wegen des Segenswunsches klang für uns die erste Rede Horst Köhlers ermutigend und viel versprechend. Seine Selbstverpflichtung, Anwalt derer zu sein, die in unserer Gesellschaft kein Gehör finden, kann nur dazu beitragen, dass die Probleme manch einer Minderheit – auch der muslimischen – als gesamtgesellschaftliches, überparteiliches Anliegen angesehen werden. Bei der Umsetzung diese Versprechens lassen wir uns gerne von ihm in die Pflicht nehmen.
NADEEM ELYAS, 58, ist Arzt und Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Deutschland
Ich bin aufgrund unserer Vergangenheit ein gebranntes Kind. Das nationale Bekenntnis an den lieben Gott zu adressieren ist mir peinlich.
HILDEGARD HAMM-BRÜCHER, 83, ist Publizistin. 1994 war sie von ihrer damaligen Partei, der FDP, für das Amt der Bundespräsidentin aufgestellt worden
Die Frage lautet eigentlich eher, ob ein frisch gebackener Präsident es nötig hat, Gottes Segen auf seine neuen Schäfchen herabzubeschwören. Schließlich wurde er nicht als Priester eingestellt, sondern als Staatsoberhaupt. Herr Köhler wird sich noch eine Weile schwer tun, ein politisches oder auch nur repräsentatives Profil zu gewinnen. So wahr ihm Gott helfe.
JULI ZEH, 29, Autorin des Romans „Adler und Engel“ (Schöffling, 2001), fordert eine stärkere Politisierung junger deutscher Literatur
„Viel Glück und viel Segen“ – ohne nachzudenken singen Menschen diesen Vers. Egal ob sie an Gott glauben oder nicht: Sie wünschen damit Gutes zum Geburtstag. Glück und Segen werden in einem Atemzug genannt. Und tatsächlich verbindet sie eine Eigenschaft: Sie sind unverfügbar. Kein Mensch kann über sie befehlen, sie anordnen oder abbestellen. Aber Menschen sind frei, sich gegenseitig Glück und Segen zuzusprechen. In aller Kürze hat Horst Köhler in seiner Antrittsrede am Sonntag vor der Bundesversammlung einige Vorstellungen für seine Amtszeit als Bundespräsident skizziert. Zwei Sätze bleiben dabei besonders in Erinnerung: „Ich liebe unser Land“ und „Gott segne unser Land“. Der erste Satz enthielt eine, vielleicht nicht einmal bewusste, Anspielung an die Aussage des früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann: „Ich liebe nicht mein Land, ich liebe meine Frau.“ Köhler begründete mit diesem Satz, warum er sich auf das anspruchsvolle neue Amt eingelassen hat. Danach schilderte er seine Ideen und Visionen: was er sich für und von Deutschland wünscht, was er hofft, als Bundespräsident mit anregen zu können. Und dann als Abschluss: „Gott segne unser Land.“ Dieser Satz macht deutlich: so sehr sich Menschen wie Horst Köhler, so sehr sich Politiker, Wirtschaftsfachleute und jeder Bürger und jede Bürgerin um das Wohlergehen des Landes bemühen mögen, etwas bleibt unverfügbar. Dieses Unverfügbare, das sich der letzten Kontrolle oder Manipulation entzieht, dürfen wir als Christen Gott anvertrauen. Wir dürfen darum bitten, dass Gott seinen Segen schenkt. Auch den Menschen, die selbst nicht an Gott glauben oder denen die Worte fehlen, um diesen Segen zu bitten.
WOLFGANG HUBER, 61, ist Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland
Gott segne unser Land – ja, solchen Segen haben wir nötig, gerade in Zeiten so vieler Verunsicherungen! Nun gilt in Deutschland heute die öffentliche Rede von Gott oft als geradezu peinlich. Wer sich als Christin oder Christ outet, wird fast mitleidig belächelt (wogegen Buddhismus oder Esoterik wahnsinnig interessant erscheinen). Ich finde gut, wenn Menschen in diesem Land sagen, woher sie ihre Lebenskraft nehmen, dass sie auf Gott vertrauen. Wer auf Gottes Segen verweist, macht ja glasklar, dass nicht alles Heil von der Wirtschaft, dem Markt oder der Börse kommt, nicht alles im Leben machbar ist, weder durch Geld noch durch Technologie. Es stellt unser Land in einen größeren Zusammenhang, in dem klar wird: Kein Volk sollte sich selbst überhöhen, sondern es geht um ein größeres Ganzes, um eine Globalisierung um der Menschen willen. Alle Länder brauchen Gottes Segen. Dass jemand diese Worte sagt, dem ständig vorgeworfen wird, er sei ein reiner Finanzmensch, sollte nachdenklich machen. Darin steckt für mich eine gewisse Demut gegenüber der Arroganz der Macher. Diese Worte zudem in einer Zeit zu sagen, in der sie durch die Art und Weise, wie der Präsident der USA offenbar meint, sie für seine Nation pachten zu können, bei Politikerinnen und Politikern bei uns geradezu verpönt sein lässt, das finde ich beherzt, ja mutig. Da steht Gebrauch gegen Missbrauch. Doch, ich wünsche mir auch, dass Gott unser Land segnet und deutlich werden lässt: „Gerechtigkeit erhöht ein Volk!“ (Spr 14,34).
MARGOT KÄSSMANN, 45, ist evangelische Theologin und seit Juni 1999 Landesbischöfin von Hannover
Wenn nichts mehr hilft, muss Gott helfen. Was Köhler gesagt hat, klingt sehr amerikanisch, vor allem im Zusammenhang mit seinen Forderungen nach Patriotismus. Und das mit dem Reformmodell USA im Hintergrund – da bedank ich mich jetzt schon mal recht herzlich. Man sieht ja, was sich in Amerika innerhalb kürzester Zeit verändert hat. Auch Köhler fordert ja schnelle Reformen. Anhand dieser relativ platten und funkenlosen Rede von Herrn Köhler zu seiner Programmatik kann man deutlich sehen, was wir an der Frau Schwan verloren haben. Denn mit Frau Schwan wäre nicht nur eine Ruckrede, sondern ein wirklicher Ruck durch Deutschland gegangen. Ich finde zwar eine Patriotismus-Debatte überhaupt nicht falsch: Wo die Grenzen fallen, muss man sich seine heimatlichen Identitäten wahren. Aber das muss auf eine gute abendländische Weise geschehen und nicht nach amerikanischem Vorbild.
OTTFRIED FISCHER, 50, ist Schauspieler und Kabarettist. Bei der Bundespräsidentenwahl war er SPD-Wahlmann
Deutschland hat Männer wie Horst Köhler nötig, den ich aus dem Kuratorium der American Academy gut kenne. Mit seiner Rückkehr nach Deutschland dreht er den Braindrain um: sonst gehen die guten Leute hierzulande doch auf Nimmerwiedersehen fort. Und Gott? Mir ist der Satz gar nicht aufgefallen, in den USA sagt jeder dauernd „God bless America“ – und das schon lange vor George Bush. Aber noch etwas ist amerikanisch an dem neuen Bundespräsidenten: sein Pragmatismus und seine Anpassungsfähigkeit. Köhler hat Erfahrung als Beamter, als Verbandsmensch und als IWF-Chef, diesen Wechsel zwischen verschiedenen Bereichen gibt es sonst in Deutschland selten. In Amerika ist das gang und gäbe.
GARY SMITH, 49, ist Direktor der American Academy in Berlin. Er studierte Philosophie in Boston und Frankfurt/Main