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Archiv-Artikel

Wenn die Verfremdung sich abnutzt

Anspielung statt Bezugnahme: In Zeiten realer Finanzkrise inszeniert Harry Kupfer in Hamburg Franz Léhars „Die lustige Witwe“ – und interessiert sich vor allem für das Unzeitgemäße dieser Operette. Das Premierenpublikum ist nicht überzeugt

Einem Land droht der Staatsbankrott. Um das zu verhindern, wird die Zweckehe propagiert. Was für eine Steilvorlage liefert Franz Léhars Operette „Die lustige Witwe“, um die aktuelle Finanzkrise zu beleuchten – und das auch noch kurzweilig! An der Hamburgischen Staatsoper sucht Regisseur Harry Kupfer nun allerdings kaum nach aktuellen Anknüpfungspunkten. Seine Neuinszenierung konzentriert sich darauf, zu zeigen, wie vorgestrig und trutschig dieser Welterfolg Léhars doch eigentlich in vielen Punkten ist. Das Konzept geht nicht auf – dementsprechend stark fielen nach der Premiere am Sonntagabend auch die Buh-Rufe aus.

Die Quadratur des Kreises: Nichts Geringeres hatte Kupfer vorgehabt, das klang schon im Vorfeld an. Da hieß es etwa im Interview: „Wir stellen die Verlogenheit des Textes dar, aber auch die Liebesgeschichte und wollen das Vergnügen, das die Leute an der Operette haben, nicht schmälern.“ Dazu griff Kupfer zum bewährten Mittel der Rahmenhandlung. Die Aufführung der „Lustigen Witwe“ wird zum Theater auf dem Theater. Beziehungsweise zum Filmdreh auf dem Theater: Das Stück beginnt 1945 in der kriegsbeschädigten Atelierhalle der Ufa. Die Darstellerin der millionenschweren Witwe Hanna und der Darsteller des Danilo, Hannas Jugendliebe, fahren in Armeeklamotten im Militärjeep heran. Musik kommt vom mitgebrachten Tonband, sie lesen im Textbuch – und plötzlich schnurrt die Operettenhandlung auf der Bühne los, vermischt mit Zitaten aus historischen Filmen. Dieser Beginn ist virtuos inszeniert.

Dann erschöpfen sich die bei Brecht entlehnten Verfremdungen, die wohl Distanz schaffen sollen: Immer wieder lesen die Darsteller aus den Textbüchern, stülpen sich rote Pappnasen auf oder der Chor agiert mit Noten vor der Filmkulisse. Die vom Krieg gezeichnete Halle verwandelt sich wieder in einen Ort der Filmproduktion. Kitschige Fototapeten-Motive bestimmen den Hintergrund. Kamerateams sausen um die Handlung herum. Es wird in die Kamera gesungen mit schmachtendem Augenaufschlag, selbstverliebt, eitel. Und selbst, wenn mal eine Szene nicht auf Zelluloid gebannt wird, legen die Sänger ihren operettig exaltierten Tonfall nicht ab.

Regisseur Kupfer wollte die Handlung aufbrechen, „aufknacken“ – das ist nicht recht gelungen. Denn irgendwann erlahmt der Riesen-Verfremdungseffekt der Filmarbeiten. Und denkt man sich diese weg, dann bleibt eine ziemlich konventionelle Aufführung des Operettenklassikers übrig: Was als trutschig entlarvt werden soll, wird trutschig. Da klatschte auch das Premierenpublikum immer wieder mit bei besonders schmissigen Nummern.

Das wäre ja alles zu akzeptieren, würde man sich gerade bei diesem Stück nicht wünschen, dass eine Inszenierung schärfer auf das Thema abzielte: den Staatsbankrott. Soll hier doch die pontevedrinische Witwe Hanna Glawari einen Pontevedriner heiraten, damit Glawaris Millionen-Vermögen dem Staat nicht abhanden kommt. Und wie die Männergesellschaft um den Staatsvertreter Baron Mirko Zeta sich gebärdet – geldgierig, ignorant, machohaft –, das gerät in der Neuinszenierung arg blass: Hier sind die Männer nur ein trottelig-lustiger Haufen.

So bleibt es bei Anspielungen: Hier mal eine bissige Bemerkung über die „Bank Germania“, wo Gelder nicht sicher sind, dort mal ein Liebespavillon aus riesigen 3.000-Euro-Scheinen geformt. Und zum berühmten Walzer-Duett „Lippen schweigen“ regnet es im Hintergrund Geldscheine und Stichwörter aus Zeitungsschlagzeilen, „Finanzkrise“ etwa oder „Rettungsschirm“. Außerdem wirft Hanna ihrem Gatten in spe Geldscheine entgegen, die die pontevedrinische Gesellschaft dann gierig aufsammelt.

Immerhin: Musikalisch war die Premiere ein solider Abend. Karen Kamensek am Pult der Hamburger Philharmoniker sorgte für Tempo und den rechten Schwung für die rasanten Umschwünge. Manchmal stimmte die Balance zwischen Gesang auf der Bühne und Lautstärke im Orchestergraben nicht ganz. Und sang Camilla Nylund in der Titelpartie auch klar und kühl, zog Nikolai Schukoff als bindungsscheuer Danilo Charmeur-Register: Retten konnten die beiden Gaststars den Abend auch nicht. Schade. DAGMAR PENZLIN

Nächste Vorstellungen: 21., 25., 28. + 31. Januar, 19.30 Uhr, Hamburgische Staatsoper