: Viel Krach mit Richard
Ehekrise mit großem Orchester: An der Deutschen Oper hat der Regisseur Marco Arturo Marelli „Die ägyptische Helena“ von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss aus der Remise geholt
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Die Deutsche Oper hat sich unter Kirsten Harms’ Leitung als eine Art modernes Antiquariat etabliert. Das ist deswegen ein kluges Konzept, weil die Lust am Stöbern in verstaubten Ecken der Musikgeschichte über die Mängel der Fundstücke wie auch der Aufführungen hinwegtröstet. Die „Germania“ von Alberto Franchetti, die „Cassandra“ von Vittorio Gnecchi oder „Jeanne d’Arc“ von Walter Braunfels sind gewiss zu Recht vergessen, aber es war interessant, in der Deutschen Oper zu hören und zu sehen, dass es auch das einmal gab.
In diese Reihe vergilbter Raritäten gehört sehr wohl auch die „Ägyptische Helena“ des bewährten Duos Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss, 1928 in Dresden uraufgeführt. Ein Ehedrama, verpackt in zwei Akte eines mythologischen Dramas über die Rückkehr des Menelaos mit seiner im trojanischen Krieg blutigst zurückeroberten ungetreuen, aber sexuell immer noch reizvollen Helena, der schönsten Frau aller Zeiten. Den Freudianer Hofmannsthal trieb der Gedanke an diese zweifellos therapiebedürftige Situation jahrelang um, bis er schließlich Strauss darum bat, ihm dazu eine Musik zu schreiben. Eine richtige Oper wurde daraus nicht. Eher widerstrebend lieferte Strauss ab, was er nun mal konnte: kräftige Farben für virtuose Orchester und deklamatorischer Gesang für Schwermetall-Stimmen. Es klingt prächtig, aber geistlos, weil dem deftigen Bayern der subtile, unauflösbar zweideutige Witz der Hofmannsthal’schen Konstruktion völlig fremd blieb.
Es gab eben auch diesen Freud für die Oper, nicht nur den „Rosenkavalier“ oder die „Frau ohne Schatten“ derselben Autoren. Der Schweizer Regisseur und Bühnenbildner Marco Arturo Marelli putzt den misslungenen Zwitter so gut heraus, wie es nur geht. Wir sind in dem blau ausgeleuchteten, orientalischen Freudenhaus der Zauberin Aithra, die den mordlüsternen, vom Krieg traumatisierten Ehemann und seine Schöne aufnimmt. Elfen im Mieder, umgestürzte Sofas und zerwühlte Betten verkünden die frohe Botschaft der Lust, zu der das zerfallene Paar zurückfinden soll. Eine Droge des Vergessens, ein Märchen, in dem die schlimme Helena gar nicht so schlimm war, und eine zweite Hochzeitsnacht helfen über die ersten Hürden hinweg. Am Ende der Klausur schaffen es die beiden sogar, in der Wirklichkeit anzukommen. Sie fallen sich in die Arme, das gemeinsame Kind kommt zur Tür herein, und Strauss taumelt vor Freude über die heilige Familie, die da mal wieder gerettet worden ist, in ein schier endlos dröhnendes Finale hinein, mit dem uns auch Marelli nach Hause schickt. Ein Kommentar schien ihm nicht nötig, er hat das Stück nur aus dem Regal geholt und ausstaffiert mit Kulissen, die alle aussehen, als seien sie vor Jahren auch schon mal für irgendeinen anderen Schmöker gebraucht worden.
Einhelliger Applaus war der Dank des Premierenpublikus, das offenbar bereit war, das ziemlich arge Geschrei der Sopranistin Ricarda Merbeth in der Titelrolle zu überhören. Der sehr gute Tenor Robert Chafin konnte dagegen als Menelaos wenig ausrichten, zumal Andrew Litton am Pult seinen Strauss so dahinlärmen ließ, wie man es vielleicht doch vermeiden sollte. Aber nun gut: So steht es in den Noten, Marelli jedoch und auch die Intendanz müssen sich die Frage gefallen lassen, ob es zu den Themen Krieg und Sex nicht mehr zu sagen gäbe. Offiziersuniformen für Choristen und gelegentlich auf die Kulissen projizierte Bilder rauchender Trümmer sind ein wenig dürftig.
Große Oper ist halt nicht aus der Remise zu haben, sie verlangt nach Auseinandersetzung mit der Gegenwart wie auch der historischen Zeit des Werkes – gerade dann, wenn es kein Meisterwerk ist.
Nächste Aufführungen: 22. 1., 14. 2.