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Archiv-Artikel

Poppiges Pullach

Oliver Mielkes Entertainment Factory produziert TV-Formate, die stilistische Gegensätze aufheben, sie sind billig, kreativ – und manchmal unerwünscht

AUS PULLACH KLAUS RAAB

Die Sekretärin nennt ihn „dicker Bär“, und wenn er zu einem Rundgang aufbricht, hält sie ihm verzückt die Tür auf. Wir befinden uns im Vorzimmer von Oliver Mielke, dem Chef der Entertainment Factory, und die Vorzimmerdame ist offenbar verliebt in den dicken Bären. Er liegt gerne zwischen der Holzbank und der cremefarbenen Sitzgarnitur auf dem Parkett, der treuäugige wuschlige Hund Bernie, neben den acht Evian-Mineralwasserkästen, unter den 55 Logos von bisher produzierten Entertainment-Factory-Fernsehformaten.

Im selben Haus in Pullach bei München wird im Untergeschoss in einem winzigen Studio „Blondes Gift“ mit Barbara Schöneberger aufgezeichnet. In einem anderen Gebäudeteil befindet sich die Gaststätte „Zum Rabenwirt“.

Es ist, als hätten die Formate der Entertainment Factory hier ihre reale Entsprechung: Hipness und Old Fashion, Style und Stil, Business und Leben, Büro und Bernie. Von hier aus, nicht mehr Stadt, noch nicht Land, wo das einzige Geballte die atmosphärische Wucht des Isartalpanoramas ist, produzierte Oliver Mielke sun tv für die Kirch’schen Ballungsraumsender. Es war jung, innovativ und scherte sich nicht um Konventionen. So was gefällt Mielke. „Ich gehe auch mal dickschädelig gegen den Strom, und da kam mir sun tv gerade recht“, sagt er. So entstanden einige der billigsten und kreativsten Unterhaltungsformate des Gegenwartsfernsehens, die Mielke nach dem Ende von sun tv zum Teil bei anderen Sendern unterbrachte. „Blondes Gift“ etwa, das erst im WDR lief und jetzt auf Pro 7. Oder Wigald Bonings „WiB-Schaukel“: Boning brachte Prominente dazu, zu zeigen, wie sie ticken; Jürgen Drews, Ralph Siegel, René Weller und viele andere. Meist B-Prominente, die die Höhen genauso gut kennen wie die Tiefen des Show-Geschäfts. Am Freitag zeigt das ZDF um 1.00 Uhr ein halbstündiges „Best Of“ und dann bis 3.00 Uhr die „WiB-Schaukel-Nacht“. Danach wird die Sendung, Grimme-Preis-gekrönt, witzig, intelligent und vom ZDF mitten in der Nacht versendet, eingestellt. Mielke, der frühere Pro 7-Unterhaltungschef, hat’s nicht immer leicht mit seinen Ideen.

In vielen Formaten, die von der Entertainment Factory erdacht wurden, werden scheinbare stilistische Gegensätze aufgeweicht. Boning wurde vom vermeintlich reinen Comedian zum investigativen Journalisten. In modernen Comedy-Sendungen wie der „Bullyparade“ lebte die gute, alte Showtreppe wieder auf. Im TV-Quartett auf sun tv sprachen Boning, Hella von Sinnen, Hugo Egon Balder und Roland Baisch über Fernsehsendungen, ohne auch nur Ausschnitte zu zeigen.

Das Wichtigste scheint für Mielke zu sein, dass er sich seine Programme selber gerne anschaut. Moderatoren, deren Kapital in einem guten Maskenbildner besteht, kamen bei ihm bislang nicht zum Zug. „Wir kaufen nicht Optionen und Formate, sondern ich setze mich mit Menschen zusammen und baue was um ihre Stärken herum“, sagt er. Wigald Boning ist ein Beispiel. Oder Barbara Schöneberger: Sie labert in „Blondes Gift“ ihren Gast voll – fertig. Weil kaum eine so schön ihren Gast voll labern kann wie sie.

Mielke mag „den Mix aus Gespräch, Intellekt, Gesang und Humor“. Er träumt von einem Format, das Generationen vor dem Fernseher vereint, „wie einst bei Peter Frankenfeld“. Entertainer mochte er immer. Nachmittags-Talkshows dafür nie. Ein Trend ist für Mielke kein ästhetisches Kriterium. „Ich bin ungern ein Trittbrettfahrer mit einem Me-too-Projekt“, sagt er. Selbst die trendige Idee, die 80er-Popsendung „Formel Eins“ bei Kabel 1 auferstehen zu lassen, entspringt mehr Mielkes Geschmack als Quotenzwängen: Er ist Pop-Fan; zudem begann er einst als Kabelträger – bei „Formel Eins“.

Mielke wagt es gar, in einer Branche, in der vor allem Zuschauerzahlen zählen, nur mit Menschen zu arbeiten, mit denen er sich persönlich versteht. „Das ist vielleicht blöd, unprofessionell und wirtschaftlich auch nicht das Beste“, sagt er. Aber menschlich ist es halt, und das ist ja auch schon mal was. Und so blöd scheint es dann doch nicht zu sein: Die Entertainment Factory gibt es schließlich noch, obwohl die Auftragslage, als Kirch Pleite ging, „von hundert auf null fiel“, so Mielke. Er zog das Unternehmen am eigenen Ideenkapital aus dem Sumpf. Und so ist das Einzige, was noch an Leo Kirch erinnert, der bis zu seiner Pleite mit 25 Prozent an der Entertainment Factory beteiligt war, die Anschrift des Unternehmens: Kirchplatz 1.