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Anspielungsknäuel, nicht roter Faden

Sie zelebriert nicht das Jahr 1968, wie es nun so viele gemacht haben. Nein, die Hamburger Kunsthalle hat sich für ihre nächste Ausstellung das Jahr 1969 ausgesucht: Das Jahr, in dem die Manson-Family mordete, der erste Mensch auf dem Mond landete und Andreas Baader mit Gudrun Ensslin nach Paris floh. Die zentrale Frage: Wie konnte aus Flower-Power Gewalt werden, und was ist da eigentlich schiefgelaufen?

CHARLES MANSON

Als egozentrische, labile, trotzdem charismatische Persönlichkeit gilt der 1934 geborene Charles Manson bis heute. Seit seinem 14. Lebensjahr saß er in Erziehungsanstalten, später wegen Zuhälterei und Autodiebstahls im Gefängnis. 1967 gründete er die „Manson Family“, eine Aussteigerkommune und Hippie-Sekte, die unter anderem mit Drogen experimentierte. Mansons Ideologie basierte auf einem Mix aus Satanskult und Rassismus. Im August 1969 soll Manson – was er bis heute bestreitet – Mitglieder seines Clans zu den brutalen Morden an der hochschwangeren Sharon Tate und sechs weiteren Hollywood-Bewohnern angestiftet haben. „Death to Pigs“ schrieben die Täter mit dem Blut ihrer Opfer an die Wände der Tatorte. Ende 1969 wurden Manson und die vier Täter verhaftet und zunächst zum Tode verurteilt. Inzwischen wurde die Strafe in lebenslange Haft umgewandelt, die alle Beteiligten bis heute im kalifornischen Staatsgefängnis verbüßen. PS

VON PETRA SCHELLEN

Diese Ausstellung wird eine Provokation. Eine Reise in den Diskurs. Ein Weg, auf den sich zwei Kuratoren gemacht haben, um Zusammenhänge zu finden, die das zunächst unspektakuläre Jahr 1969 erhellen. Um lose Enden probeweise zusammen zu bringen und scheinbar disparate Ereignisse zu verknüpfen. Diese Schau wird mutig und scheu zugleich. Sie formuliert eine These, um sie gleich darauf zu negieren.

Die Ausstellung „Man Son 1969. Vom Schrecken der Situation“, die ab dem kommenden Freitag in der Hamburger Kunsthalle gezeigt wird, ist behaftet mit dem denkbar größten Repertoire an Widersprüchen. Das mag daran liegen, dass die Kuratoren Frank Barth und Dirck Möllmann 16 Jahre trennen. Auch sind die beiden Ausstellungsmacher in Persönlichkeit und Zugriff auf die Welt so verschieden, dass sich ihr Konflikt wohl zwangsläufig in der Ausstellung spiegelt. Genau darin liegt aber vielleicht deren Potenzial: Der eine konterkariert unverzüglich, was der andere sagt; das bringt mal chaotische, mal plausible Folgerungen hervor.

Da wäre zunächst das Thema: der 1934 geborene Hippie Charles Manson, dessen Kommunenmitglieder 1969 die Schauspielerin Sharon Tate und sechs weitere Hollywood-Bewohner töteten. Manson, wie die Mörder selbst bis heute in Haft, war eine schillernde Figur: Mal bediente er sich beim Satanskult, mal pries er Rassismen und ritzte sich Hakenkreuze in die Stirn. Dieser verqueren Persönlichkeit also soll die Ausstellung huldigen, indem sie 53 Künstler vom Mittelalter bis heute präsentiert? Nein, sagen die Kuratoren unisono. Handeln soll die Schau, für die rund ein Drittel der Arbeiten eigens konzipiert wurde, vielmehr von dem Ereignis-Konglomerat des Jahres 1969; und zu dem zählten auch die Morde der Manson-Anhänger.

Im selben Jahr flohen aber auch die späteren RAF-Mitgründer Andreas Baader und Gudrun Ensslin nach Paris, um der Strafe für die Frankfurter Kaufhaus-Brandstiftungen ein Jahr zuvor zu entgehen. Zudem wurden mit über einem Jahr Verspätung Massaker der US-Armee in dem vietnamesischen Dorf My Lai bekannt: „1969 ist das Jahr, in dem die Brutalität des Vietnamkriegs offenbar wurde“, sagt Barth. „Ein Indiz, vielleicht Auslöser weiterer gesellschaftlicher Verrohung, von der auch die Manson-Morde zeugen.“

Soweit, so plausibel. Was aber hat das mit dem mittelalterlichem Tafelbild des „Christus als Schmerzensmann“ zu schaffen, der hier ebenfalls hängen soll? „Es ist ein Bild über Schmerz und Tod – und insofern durchaus auf die Brutalität der Manson-Morde beziehbar“, sagt Möllmann. Laute der Untertitel der Ausstellung doch schließlich „Vom Schrecken der Situation“ – damit öffne man bewusst ein breites Themenspektrum. So gehört auch das während einer Schädelöffnung aufgenommene Hörstück „Trepanationen“ von Teresa Margolles hierher. Sie wolle, sagt die Spanierin selbst, den Tod ent-tabuisieren – und schockiert gern durch die Verwendung echter Leichenteile.

Die Tür zum soziokulturellen Diskurs öffnet dann Lutz Dammbecks Installation „Die Umerziehung der Umerzogenen“, das Remake einer 1970 in New York gezeigten Versuchsanordnung: Mäuse wuseln zwischen Stahlwürfeln, die ein Greifarm immer wieder ordnet. Eine Anspielung auf die Ende der 60er Jahre hergestellte Verbindung von Konzeptkunst und Kybernetik, die sich nicht zuletzt fragte, von welcher Populationsdichte an Tiere – respektive Menschen – gewalttätig werden. Ein indirekter Rechtfertigungsversuch von Brutalität, gar der Manson-Morde? „Nein, das liegt uns fern“, sagt Möllmann. „Diese Morde sind durch nichts zu rechtfertigen. Aber wir bewerten sie auch nicht.“ Und Barth fügt lakonisch an: „Ich weiß nur, dass ich gegen Gewalt in jeder Form bin.“

Verhält sich die Schau hier ambivalent? Will sie provozieren? „Provokation? Kenne ich nicht“, kontert Barth. Andererseits: Die Verbindung zu ziehen zwischen Manson und der RAF zu ziehen, wie es die Ausstellung tut, ist eine bizarre – vielleicht auch nur private – These von Frank Barth. Zeitlich zumindest geht sie nicht sauber auf, wurde die RAF doch 1970 gegründet und hat ideologisch mit Manson zunächst einmal nichts gemeinsam. „Aber es könnte doch sein, dass auch die RAF letztlich durch Vietnam und die damit einher gehende Verrohung geprägt ist“, sagt Barth. „Ja, ich bin sogar fast sicher.“

Eine These, in deren Reflexion alle möglichen Koordinaten einfließen können – auch jene Ausstellungsstücke, die ansonsten fester Bestandteil der Kunsthallen-Sammlung sind. Edward Kienholz’ Installation „The eleventh hour final“ zum Beispiel: ein Monitor, der Zahlen von Verwundeten und Toten zeigt. Er spielt auf die amerikanischen Spätnachrichten an, in denen regelmäßig die Zahl Toten des Vietnam-Kriegs veröffentlicht wurden – was die Stimmung im Land schließlich kippen ließ.

Aber was hat Ilja Kabakovs Installation „Healing with Paintings“, die das Malen als therapeutische Methode propagiert, in diesem Zusammenhang zu suchen? „Diese Arbeit stellt mittelbar den Bezug zu Susan Atkins her, einer der Mörderinnen der Manson Family“, sagt Möllmann. „Auch sie hat in ihrer Zelle oft gemalt.“ Sie habe sich inzwischen radikal von den Morden distanziert – vielleicht gelangt bis zur Eröffnung noch ein Statement von Atkins in die Ausstellung.

Ob die mordenden Manson-Jünger damals unter Drogen standen? Oder, wie manche vermuten, von der CIA ferngesteuert waren? „Das sind alles Vermutungen, und ich persönlich glaube das nicht“, sagt Möllmann. „Fakt ist aber, dass es eine Zeit des Sich-Einkapselns war – sei es in einer Aussteiger-Kommune, sei es im Raumanzug der Mondfahrer.“

Schon wieder so ein bizarrer Link. Der aber keine Erfindung der Kuratoren ist: Der argentinische Künstler Mario Asef hat in seiner DVD „Man’s on Moon“ Manson über Funk mit dem Mann auf dem Mond sprechen lassen, als sei auch die Mondlandung – drei Wochen früher als die Morde – von Manson ferngesteuert gewesen.

Durchaus vergleichbar ist indes die Aufmerksamkeit, die beide Ereignisse erfuhren: In der selben Ausgabe des Life Magazine wurden prominent Manson, Mondlandung und Vietnamkrieg bebildert. „Und ohne den Medienhype“, sagt Möllmann, „wären die Manson-Morde in den 60ern, 70ern niemals so aufgebläht und ein solches Politikum geworden.“ Auch wenn Manson, darauf besteht Barth ausdrücklich, nicht entfernt so geschickt mit den Medien umgegangen sei wie später die RAF. Da schweigt dann der jüngere Möllmann; hier scheiden sich abermals die Geister. Die Ausstellung jedenfalls zeigt – auf wessen Betreiben auch immer – Fotos von Baader und Ensslin, die Astrid Proll 1969/70 in Paris aufnahm.

Warum haben die beiden Kuratoren eigentlich keine – viel leichter begründbare – Ausstellung über das Jahr 1968 gemacht? „1968 hat mich persönlich vergleichsweise wenig tangiert“, sagt Barth. Seine künstlerischen und gesellschaftspolitischen „Erweckungserlebnisse“ hätten 1969 stattgefunden, sagt er – und mehr auch nicht. Aber natürlich gehe es um die 60er Jahre insgesamt, das sei ja klar.

Vielleicht ist es aber auch ein ganz klein bisschen renitent, um nicht zu sagen: bockig, mit der 60er-Betrachtung ein Jahr später anzusetzen, als alle es erwarten. Und den Signalnamen Manson in den Titel zu nehmen – das war eine Versuchung, der die beiden offenbar nicht widerstehen konnten. Aber sie bedienten ja nicht die Bedürfnisse der immer noch lebendigen Manson-Fangemeinde, winden sich die beiden ein wenig. Auch wenn sie Bilder wie „Wächter der Natur“ von Till Gerhard zeigen, auf dem die Manson-Family inmitten des Naturidylls ihrer Kommune zu sehen sind.

Aber es stimmt natürlich: Nur ein Bruchteil der Arbeiten befasst sich ausdrücklich mit Charles Manson. Auch rollt die Schau nicht die Manson-Geschichte neu auf, sondern forscht nach deren medialer Wirkung, nach der Wechselwirkung von Medien und Ereignissen überhaupt. „Ursache und Wirkung funktionieren ja auch in umgekehrter Richtung“, sagt Möllmann: „Das Medienecho hat diesen Morden nachträglich erst Wirkung verliehen.“ Haben sie zu einem Politikum werden lassen und jene Fangemeinde erzeugt, die bis heute existiert.

Die bildet freilich bloß ein winziges Segment der Gesellschaft. Wenig weiß dagegen wohl der europäische Durchschnittsbürger über Manson. „Die Künstler, die wir gefragt haben, kannten ihn alle. Jedenfalls die älteren“, sagt Barth. „Der ist schon sehr präsent.“

Und – für alle Beteiligten – ein wunderbarer Anlass, in Verschwörungstheorien zu baden: Abgesehen von der angeblichen Fernsteuerung der Mörder durch Manson kursiert bekanntlich auch die Idee, dass die Mondlandung nie real, sondern nur im Film stattgefunden habe. Möllmann faszinieren solche Konstrukte, Barth nicht: „Das ist mir piep-egal“, sagt er. „Für mich war die Landung real. Basta.“

Was er sich aber letztlich von der Ausstellung verspricht, die doch ausdrücklich keinen roten Faden haben soll? „Ob da ein Erkenntnisgewinn bei herauskommt, lässt sich nie vorhersagen“, sagt Barth. „Ich mache eine Ausstellung, weil ich bestimmte Arbeiten mal zusammen sehen will. Manchmal fällt mir dabei eine Erkenntnis wie Schuppen von den Augen. Darüber bin ich dann jeweils überrascht und erfreut.“

„Man Son 1969. Vom Schrecken der Situation“ ist ab dem 30. 1. in der Hamburger Kunsthalle zu sehen

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