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Archiv-Artikel

„Bin ich etwa einer dieser Irren?“

Der US-amerikanische Comiczeichner Robert Crumb („Fritz the Cat“) hat eine geheime Obsession: Er sammelt alte Schellackplatten. Ein Gespräch über Schellackplatten aus dem Paradies sowie über die Ekstasen des Sammelns

Interview CHRISTOPH WAGNER

Herr Crumb, wie haben Sie mit dem Sammeln begonnen?

Crumb: Ich habe mit frühem Jazz und Tanzmusik angefangen. Ich mag die Tanzkapellen der 20er-Jahre sehr. Dann kam Blues dazu und die Jugbands, später Hillbilly. Dann begann ich mich für traditionelle irische Musik zu interessieren, danach für Fiddlemusik vom Balkan und osteuropäische Polka. Heute kaufe ich jede einigermaßen interessant erscheinende ethnische Schellack.

Meine These ist, dass in den 20er-und 30er-Jahren die beste Musik gemacht wurde, weil damals die ethnischen Stile noch nicht der Kontrolle der großen Schallplattenfirmen unterworfen waren. Für rund zehn Jahre wurden Schallplatten aufgenommen, ohne dass die Plattenlabels genau wussten, welche Musik sie eigentlich haben wollten. Es gab deshalb kaum kommerziellen Druck: Sie ließen die Musiker einfach machen.

Wo kaufen Sie Ihre Schellackplatten? Auf Flohmärkten?

Crumb: Ich suche überall. Ich kaufe von anderen Sammlern, bei Versteigerungen übers Internet, auch auf Flohmärkten und in Trödelläden. Ich besuche darüber hinaus Schallplattenmessen. Das Aufregende dabei ist, dass man nie weiß, was man findet. Ein Überraschungsmoment ist immer im Spiel.

Können Sie sich an Ihren letzten tollen Fund erinnern? Einen von der Art, bei dem man beinahe einen Herzanfall bekommt?

Ich habe vor ungefähr Jahren in Hilversum einen Laden betreten, von dem mir ein Freund erzählt hatte. Zuerst war ich etwas enttäuscht, weil im Verkaufsraum nur alte Grammofone standen, aber kaum Schellackplatten. Ich fragte den Besitzer, ob er noch mehr hätte, und er führte mich in ein Hinterzimmer, das randvoll mit alten Scheiben war. Er hatte erst kürzlich eine Ladung von einer Rundfunkanstalt erhalten, die ihre Schellackplatten loswerden wollte. Vieles davon waren ethnische Schallplatten aus der ganzen Welt, die diese Radiostation in den Dreißigerjahren zusammengetragen hatte. Ich bekam fast einen Schwächeanfall, als er Kisten mit diesen Scheiben hereintrug. Es waren extrem seltene Schallplatten aus alle Himmelsrichtungen des Globus darunter: einige in Amerika aufgenommen, andere in Europa. Ich habe rund einhundert gekauft. Seither habe ich nie mehr so viele fantastische Schallplatten auf einem Ort beieinander gesehen. Sie waren in exzellentem Zustand. Es war wie im Paradies.

Oft erlebt man ja auch Enttäuschungen, wenn die erworbenen Scheiben nicht das halten, was man sich von ihnen versprochen hat. Meiner Meinung nach klingen Schellacks deswegen in der Tragtasche, auf dem Weg nach Hause: Man kann sich all die wunderbaren Klänge vorstellen, die sie enthalten könnten.

Ja, die Enttäuschung gehört zum Schellacksammeln dazu. Wirkliche Kostbarkeiten sind extrem rar. Ich sammle schon recht lange und habe über die Jahre einige tolle Scheiben zusammengetragen, jedoch auch viel Durchschnittliches und Langweiliges. Wenn man die Platten beim Kauf nicht anhören kann und sie auf gut Glück erwirbt, ist es unvermeidlich, dass viel Schrott dabei ist.

Wie groß ist Ihre Sammlung?

Ich besitze so circa 4.500 Schellackplatten. Immer wieder geht mir der Lagerraum aus, dann muss ich einen neuen Platz finden. Platzmangel kann aber auch ein Ansporn sein, mich von weniger interessanten Platten zu trennen.

Bilden Schellacksammler eine verschworene Gemeinschaft? Kennt man sich?

Selbstverständlich kennt man Gleichgesinnte, mit denen man fachsimpeln kann. Manchem Sammlerkollegen begegnet man aber auch nur als Phantom. Vor Jahren unternahm ich eine Reise durch die Vereinigten Staaten auf der Suche nach Schellackplatten und jeder Händler, zu dem ich kam, sagte mir, dass Chris Strachwitz schon da gewesen sei. Ich bin Strachwitz nie persönlich begegnet, kenne nur seinen Namen und weiß, dass er das Schallplattenlabel Arhoolie betreibt. Aber egal wo wir hinkamen, er war schon da. Es war wie in der Geschichte vom Hasen und dem Igel.

Gibt es eine goldene Sammlerregel, die Sie beherzigen?

Ich habe gelernt, dass es nötig ist, Risiken einzugehen. Wenn ich bei einer Platte im Zweifel bin, ob ich sie erwerben soll, kaufe ich sie immer. Wenn ich sie stehen lasse, bereue ich es später nur. Sie würde mir schlaflose Nächte bereiten und sich in ein magisches Objekt des Verlangens verwandeln, in das man die wunderbarste Musik hineinfantasiert. Dieser Regel folgend habe ich schon viel Geld für schlechte Platten ausgegeben.

Für Außenstehende ist solche Sammelwut kaum nachzuvollziehen. Manche Leute vergleichen es mit einer sexuellen Obsession oder sprechen von einer psychischen Krankheit. Was meinen Sie?

Ganz sicher ist es eine Art von Neurose. Zudem gilt Sammeln nicht als sehr cool – im Gegenteil. Man wird wohl nie einen Film mit Mel Gibson sehen, wo dieser einen obsessiven Sammler spielt. Sammeln hat nichts Heldenhaftes. Es wird eher als leicht autistische Aktivität betrachtet, was es auch ist.

Wenn man sich an einem schönen Sommertag in einem staubigen Keller durch Berge von Schellackplatten wühlt, kommen einem da nicht manchmal auch Zweifel?

Die ganze Zeit! Ich stelle mir oft die Frage, ob ich nicht wirklich krank bin, verrückt. Wenn man auf irgendeiner Schallplattenmesse unter all diesen Männern steht, die irgendeiner mysteriösen Schellack hinterherjagen und in kleine Notizbücher Nummern kritzeln, kann man schon ins Grübeln geraten. Was mache ich hier? Will ich wirklich einer von diesen Irren sein?