: Kinder haften für ihre Eltern
Die Abschiebung einer 25-jährigen Kurdin aus Soest – mit sieben kleinen Kindern, aber ohne deren Vater – schlägt Wellen bis nach Bremen. Die Angehörigen hier sind entsetzt. Der Bremer Anwalt der Familie sagt: „Das ist ein einmaliger Fall“
taz ■ Die bundesdeutschen Streitereien um die Gesundheitsreform müssen der kurdischen Familie Al Zain wie eine Luxusdebatte vorkommen. Die in Bremen ansässige Familie fürchtet um die Unversehrtheit ihrer Tochter und Enkelkinder, die am 12. Juni in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus dem nordrhein-westfälischen Soest in die Türkei abgeschoben wurden.
In Soest lebte die 25-jährige Tochter der Bremer Familie mit ihrem Ehemann. Seit der Abschiebung sitzt sie im hintersten Kurdistan, in Ückavak, nahe der syrischen Grenze. „Wir haben da nie gewohnt“, sagt verzweifelt ihre jüngere Schwester Maryam. Die Tränen steigen ihr in die Augen, wenn sie die Berichte widergibt, die sie regelmäßig hört, wenn sie an einem der wenigen Telefone in dem Ort anruft, wo einst der Großvater einen folgenschweren Fehler beging: Gegen ein Bakschisch hatte er die im Libanon geborenen Kinder seines Sohnes in der Türkei registrieren lassen, denn der Libanon hatte eingewanderte Kurden trotz langjährigen Aufenthaltes als Bürger nie anerkannt. Dann kam der Krieg. In den achtziger Jahren flüchtete die heimatlose Familie mit türkischen Pässen, die sie durch den Eintrag ins Melderegister erhalten konnte, nach Deutschland. Doch seit Ermittler vor wenigen Jahren die Einwanderer-Schicksale als Betrug auslegten, schickte insbesondere das Land Nordrhein-Westfalen zahlreiche Personen zurück, auch Kinder der zweiten Generation wie die Tochter der Al Zains, die für den Fehler der Eltern büßen muss.
„Die Kinder sagen, Tante hol uns nach Hause. Tante, schick uns Brot und Käse“, sagt Maryam Al Zain. Unterstützung, „ab und zu Spenden von Gläubigen und Essen“, erhalte die junge Mutter von einem Geistlichen im Dorf. „Aber der hat selbst zwölf Kinder.“ Er habe neulich vermutlich dem Baby der Abgeschobenen das Leben gerettet: Mit einem der raren Autos im Ort habe er das Einjährige ins weit entfernte Krankenhaus gebracht.
Dass die Schwester sich sogar ohne den Ehemann durchschlagen muss, ist für die Familie unvorstellbar. Der Mann ist kein türkischer Staatsbürger: Ausgebürgert, weil er keinen Militärdienst leistete. „Das Ganze ist ein ungeheuerlicher Skandal“, sagt der Bremer Anwalt der Familie, Hans Israel. Der klagt derzeit vor dem Verwaltungsgericht in Arnsberg. Er will erreichen, dass Mutter und Kinder wieder nach Deutschland kommen können. Israel sagt: „Man darf den Menschen nicht jeden Rechtschutz verweigern.“ Das habe das Ausländeramt in Soest gezielt getan. „Um fünf Uhr früh hat man die Familie überfallartig aus den Betten geholt. Um zehn saßen Mutter und Kinder im Flugzeug“, sagt er. Nach seinen Recherchen durften sie nicht einmal ihn, den Anwalt, anrufen. Israel ist sicher: „Das hätte es in Bremen nicht gegeben.“
Tatsächlich bekommt die zweite Generation der aus dem Libanon über die Türkei nach Bremen Eingereisten – junge Menschen, die seit ihrer Kindheit in Deutschland leben oder hier geboren sind – in Bremen eine Chance. Mittlerweile besagt ein politischer Kompromiss: Wer Arbeit hat und kein Vorstrafenregister, der darf bleiben.
Schwere Krankheit hat bislang die Abschiebung der Eltern Al Zain verhindert. Maryam Al Zain: „Meine Eltern wissen, wie entsetzlich es ist, mit kleinen Kindern und ohne alles auf der Straße zu stehen.“ ede