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Archiv-Artikel

Bosnien droht Verfassungskrise

Der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, Paddy Ashdown, setzt 59 serbische Parteifunktionäre ab. Die wollen jetzt die Parlamente boykottieren

SARAJEVO taz ■ Das Rathaus des Verbundes von Dörfern mit dem Namen „Serbisches Sarajevo“ liegt verlassen mitten im Wald. Der Bürgermeister des Verwaltungszentrums der von Serben bewohnten Bergzüge treffe sich gerade mit anderen abgesetzten Funktionären der „Serbischen Demokratischen Partei“ (SDS) in der Hauptstadt der serbischen Teilrepublik in Bosnien und Herzegowina, in Banja Luka, antwortet ein Angestellter auf mehrmaliges Nachfragen.

Als der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, Paddy Ashdown, am vergangenen Mittwoch die Entscheidung traf, 59 Funktionäre dieser Partei zu entlassen, tat er dies, um politischen Druck zu machen. Die serbische Bevölkerung sollte endlich helfen, die vom Haager Kriegsverbrechertribunal gesuchten Personen wie Radovan Karadžić und dessen Generalstabschef Ratko Mladić festzunehmen. Ein großer Teil der Entlassenen könnte jedoch in ihre Ämter zurückkehren, wenn die beiden verhaftet sind.

Ashdown ließ den SDS-Funktionären ein Hintertürchen offen. Bei dem Treffen in Banja Luka denken sie darüber nach. Doch die Mehrheit scheint den Fehdehandschuh aufzunehmen. Am Dienstag werden die SDS-Abgeordneten aus dem Parlament der Republika Srpska und des Gesamtstaates ausziehen, berichten serbisch-bosnische Medien. Dies könnte eine größere Verfassungskrise auslösen.

Paddy Ashdown wird mit noch schärferen Maßnahmen antworten müssen. Er könnte die Partei verbieten, könnte noch mehr Funktionsträger entlassen, die Macht und das Recht hat er dazu. Auf der ursprünglichen Liste standen 2.000 Namen, heißt es aus diplomatischen Quellen. Die strich Ashdown auf 59 zusammen. „Nach welchen Kriterien, ist unklar. Es hätte auch andere treffen können“, heißt es.

Die Prozedur ist ungewöhnlich und offenbar auch willkürlich. Alexander Savić, Bürgermeister von Višegrad, beklagt, dass in der Begründung für seine Ablösung Dinge angegeben wurden, die auf jeden Bürger der Republika Srpska zuträfen. „Außer der Feststellung, dass ich angeblich die Aufnahme Bosniens in die Nato-Organisation ‚Partnerschaft für den Frieden‘ behindert habe, gibt es nichts“, sagt er.

Selbst internationale Beobachter betrachten die Vorgehensweise Ashdowns mit Skepsis. Rechtstaatliche Normen würden dann verletzt, schreibt Caroline Hornstein von der Konrad-Adenauer-Stiftung, wenn die Entlassenen sich nicht mit rechtsstaatlichen Mitteln wehren könnten.

Doch Ashdown bleibt hart. Er will endlich eine Klärung der Kriegsverbrecherfrage. In Banja Luka mehren sich tatsächlich die Stimmen, die dafür eintreten, Ashdowns Bedingungen zu erfüllen. Doch in Pale, dem Zentrum „Srpsko Sarajevos“, stellen sich die Menschen solche Fragen nicht. Sie begreifen die Aktion Ashdowns als direkten Angriff auf ihre nationale Identität. Pale ist die SDS-Hochburg, hier wurde die Partei 1990 gegründet, hier wohnt die Familie Karadžić. Tochter Sonja betrieb bis vor kurzem noch eine Radiostation. „Sveti Jovan“ wurde vor 4 Wochen von der SFOR geschlossen. Wo die liegt, will keiner wissen und niemand nimmt den Namen Karadžić in den Mund.

An den Einfahrten der Stadt kontrollieren Polizisten Autos. Hubschrauber und Kampfflugzeuge überfliegen Pale im Tiefflug wie viele andere Städte in der Republika Srpska, berichten die Einwohner schließlich. Die SFOR möchte zeigen, dass sie weiter nach Karadžić sucht. Doch die Verwunderung über die Ankündigung der Chefanklägerin Carla del Ponte, Karadžić würde am 30. Juni verhaftet werden, hat sich in Sarajevo noch nicht gelegt. Selbst Ashdown zeigte sich ob dieser Aussage überrascht. Aus diplomatischen Quellen verlautet, die Chefanklägerin habe sich selbst ein Bein gestellt, auch wenn sie jetzt zurückrudere und von „Missverständnissen“ spreche. ERICH RATHFELDER