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Archiv-Artikel

Eine Schule ohne Zwang kann es nicht geben

Auf einem Symposion erkunden Professoren Tabus der Schule und beweisen, dass die Psychoanalyse noch provoziert

Von C.S.

Johannes Beck, Professor der Pädagogik, steht am Pult und fantasiert. Er entwirft eine Schule, Buller-Büyük, ein bisschen Lindgren mit einem Schuss Türkisch – vor dem inneren Auge soll ein schulisches Bildungsparadies mitten in Gröpelingen erstehen, die „Schule für alle“. „Kritische Suchbewegung“ heißt die Veranstaltungsreihe, zu der die emeritierten Professoren Johannes Beck, Gert Sautermeister und Gerhard Vinnai seit ein paar Jahren zu gesellschaftspolitischen Themen einladen, aktuell zum Thema „Tabus der Schule“.

Etwa fünfzig Lehrer sitzen im Gästehaus der Uni, die meisten sind über 50 und haben ganz offensichtlich bei Beck, Sautermeister oder Vinnai studiert: Das Bemühen, die Begrenzung der Bildungsdiskussion auf Leistungsverbesserung, Qualifikationskontrolle, Ausschöpfung der Talente zu sprengen, erreicht vor allem den inneren Zirkel. Das liegt auch an den Vortragenden. Beck will den „verdrängten Widersprüchen der heutigen Schulreform“ nachspüren. Statt aber konkret zu überlegen, was der „heimliche Lehrplan“ heute bedeutet, verliert er sich in historischen Exkursen. Die Diskussion reißen die alten Hasen an sich, die sich wehmütig an die verlorenen Schlachten um eine „wirkliche“ Gesamtschule erinnern.

Gert Sautermeister hat einen wohl ausformulierten Vortrag über „Zweckfreiheit – eine verleugnete Dimension in der ästhetischen Bildung“ vorbereitet und imaginiert mit Manns „Tod in Venedig“, wie die Lust am Lesen in sich zusammenfällt, wenn die Lektüre zum Schulstoff wird.

Allein Gerhard Vinnais Gedanken provozieren die Zuhörer: Seine Ausführungen „zur Psychoanalyse schulischer Bildungsprozesse“ berühren empfindliche Tabus: Lernen sei immer verbunden mit Zwang und Angst. Die Eltern und Lehrer müssten den Kindern Versagen auferlegen, sie würden dadurch schuldig. Damit Erziehung gelingt, dürfe man den Schulzusammenhang der Erziehung nicht negieren, sondern den Zwang durch Liebe und Anerkennung ausgleichen. Nachdenklich sind viele, irritiert, widerständig. Nur leider bliebt für eine kontroverse Diskussion kaum Zeit. C.S.