: Gezeitenwechsel
Heute ist alles anders auf dem Fluss, den Fischer Ebi River nennt. Und nach der nächsten Elbvertiefung ist für ihn Feierabend
von Gunnar Rechenburg
Es dauert nur Minuten und die Tide kippt. Ebi schaut übers Wasser als könnte man den Gezeitenwechsel sehen. „Bei Springtide geht‘s noch schneller“, sagt er. „Zur Zeit haben wir Nipptide.“ Eigentlich heißt Ebi Eberhard Rübcke, aber da draußen auf der Elbe auf seinem Kutter gibt es keine Nachnamen. Ebi ist Elbfischer. Mit seinem Kutter „Luise“ liegt der 58-Jährige in den Frühjahrs- und Sommermonaten vor Finkenwerder vor Anker, am Rande der Fahrrinne.
Ebi wohnt auf der Elbe, auf seinem Kutter. An Auslegern, die an Backbord- und Steuerbordseite über das Wasser ragen, hängen die Netze. Zehn Meter tief. Die so genannte Hahmenfischerei hat Tradition auf der Elbe. Die Gezeiten treiben den Fisch in die Netze, vor allem Aal. Im Frühjahr und Sommer ist es die Flut, im Herbst die Ebbe, je nachdem wie der Aal zieht. Seinen Kutter bewegt Ebi nur, wenn er den Fangplatz wechselt, und das ist lediglich sechsmal im Jahr: Glückstadt, Stade, Stöhr, Brunsbüttel, Otterndorf und am Mühlenberger Loch bei Airbus. „Das ist die langweiligste Fischerei der Welt“, lacht er. „Bei den Kollegen auf See da ist Action drin, da klötert und bumst das und die Maschine läuft.“
Ebi wartet, bis der Fisch zu ihm kommt. „Jeden Tag muss man genau den Moment abpassen“, sagt er. Jeden Tag verschiebt sich der Gezeitenwechsel. Mal nur um Minuten, dann wieder um eine ganze Stunde. Würde er den Moment verpassen, trieben seine Netze aus der Flut in die Ebbe. „Ein Chaos wäre das.“ Er schaut auf den Tidenkalender, dann auf die Uhr und wirft den Zehn-PS-Hilfsdiesel an. „Denn man los.“
Am Mast an den motorbetriebenen Winden legt er Hebel um. Die Metalltrossen spannen sich, ächzen und heben die Zehn-Meter-Ausleger hoch, mit den Auslegern die Netze, die sechs Stunden in der Flut gehangen haben. Peu àpeu. 50 Meter Netz an jeder Bordseite werden an die Wasseroberfläche gehievt. Ebi rafft Taue, verknotet, bedient wechselseitig die Windenhebel am Mast. Ohne Hast, alles ist Routine. „Super Winden sind das“, ruft er gegen den Diesel an und schlägt mit der Hand beteuernd auf Metall.
Die Windentechnik ermöglicht es ihm, allein zu fischen. Ebi rafft die letzten Taumeter an Deck und vertäut sie. Weit muss er sich über die Bordwand lehnen, um die Netzenden zu greifen und an Deck zu ziehen. Fisch ergießt sich in einen Bottich. Barsche, Zander, Stintbrut und Aal. Hunderte von Möwen umkreisen die „Luise“, sie wissen, was kommt. Mit beiden Händen greift Ebi in die Leibermasse. Die Aale schlängeln sich durch seine Finger, die Brassen, Zander und alles andere wirft er über Bord, zurück in den Fluss. „Die brauchen wir nicht“, Ebi will nur Aal. Als er auch das andere Netz gehievt hat, ist der Korb nicht mal halb voll. „Viel zu wenig für diese Jahreszeit“, sagt er und zuckt mit den Achseln. „Keine 40 Euro. Wenn das so weitergeht, reicht das nicht einmal für die Kunden, die vorbestellt haben.“
Die Zeit der großen Fänge ist vorbei. In den 80ern machte den Fischern die Umweltverschmutzung zu schaffen. Phenol, Quecksilber, Cadmium – jahrelang wurden chemische Abfälle in Ost und West in den Fluss eingeleitet. Wegen zu hoher Schadstoffbelastungen durften die Fischer monatelang ihre Fänge nicht vermarkten, viele mussten damals ihr Boot verkaufen. Von den 86 Fischern allein aus Altenwerder sind nur noch eine Hand voll übrig geblieben.
Ebi arbeitet seit dem auch für die Wissenschaft. Fünfmal im Jahr hat er für mehrere Tage Forscher verschiedener Universitäten an Bord, für die er fischt. Immer an denselben Stellen, „Monitoring nennen die das“. Anhand der Fische wird die Wasserqualität gemessen. Die habe sich verbessert. „Seit der Wende ist das kein Thema mehr“, sagt Ebi.
Für einige Jahre ging es den verbliebenen Elbfischern gut, die Erträge stimmten. Jetzt gibt es wieder Probleme: die Elbvertiefungen. „Als 1999 mit dem Ausbaggern begonnen wurde, sind die Erträge eingebrochen.“ Der Fisch finde keine Ruhezonen am Grund, weil die Fließgeschwindigkeit immens zugenommen habe. „Sogar der Tidenhub hat sich verändert, bei Springtide ist es an manchen Stellen richtiggehend gefährlich.“
Der Grund, warum heute so wenig in den Netzen war, ist für Ebi eindeutig: Nicht einmal eine Meile von seinem Fangplatz den Fluss runter wird Baggerschlamm verklappt, „und wo verklappt wird, schwimmt kein Fisch mehr durch“. Für die Zukunft der Elbfischer sieht er schwarz: „Wenn die da“, und er zeigt in Richtung Stadt, „eine weitere Vertiefung beschließen, ist hier Feierabend.“ Einer Machbarkeitsstudie der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes und der Hamburger Wirtschaftsbehörde zufolge könnte es dazu in Kürze kommen. Nach einer weiteren Vertiefung sollen in Zukunft Schiffe mit rund 360 Meter Länge, 46 Meter Breite und einem Tiefgang von 14.50 Meter den Hamburger Hafen anlaufen können und das Gezeiten-unabhängig. Mehr als 38 Millionen Kubikmeter Flussgrund müssten ausgebaggert werden, doppelt so viel wie 1999.
Die Tide kippt. Langsam dreht sich die „Luise“ am Anker in die Fließrichtung. Ebi hat jetzt Zeit. In sechs Stunden muss er die Netze wieder aussetzen, in zwölf Stunden mitten in der Nacht wird er sie wieder einholen. Er kocht Kaffee und lässt sich in der Messe im Vorschiff auf die Bank fallen. „1979 hab ich das Boot von meinem Vater gekauft“, erzählt er. In den darauf folgenden Jahren haben sie es modernisiert, das Ruderhaus verkleinert, modernste Technik installiert, Schlafplätze eingebaut, ebenso die Messe. Von seinem Vater hat er aber nicht nur die „Luise“, von ihm hat er auch das Handwerk des Elbfischers gelernt. Vater, Großvater, Urgroßvater – alle waren sie Fischer, auf dem „River“, wie Ebi sagt.
„Das ist mein Junge Hannes“, Ebi zeigt auf ein Foto an der Wand. Das Bild zeigt ihn und seinen Sohn zusammen mit einem Pastor an Bord der „Luise“. Hannes Taufe. „Ich weiß nicht, ob er die Luise irgendwann übernimmt“, sagt Ebi, er hoffe es. „Früher hat es zum Leben dazugehört, dass der Sohn das Boot vom Vater übernimmt und damit die Tradition.“ So wie Ebbe und Flut zum Leben gehören.
„Aber“, meint Ebi und blickt raus auf seinen „River“, „heute ist das alles anders. Nicht mal mehr die Gezeiten sind ja so wie früher.“