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Archiv-Artikel

kommentar Die Hoffnungen in einen Präsidenten John Kerry sind überzogen

Die Show kann beginnen. In den nächsten Tagen werden wir nach Boston schauen und die Amerikaner heimlich für das bewundern, was sie unbestritten am besten können: Selbst aus dem langweilen protokollarischen Akt der Nominierung des demokratischen Präsidentschaftskandidaten werden sie ein Spektakel erster Klasse machen. Am Ende der Woche wird dann der spröde John Kerry als strahlende Alternative zum amtierenden Präsidenten dastehen.

Der Anti-Bush ist bereit. Nicht nur viele Amerikaner werden daraus Hoffnung für bessere Zeiten schöpfen. Auch bei dem im November nicht stimmberechtigten Rest der Welt dürfte sich eine Mehrheit finden lassen, die eine Abwahl Bushs herbeisehnt. Denn Bush steht für Arroganz, Provinzialität, dreiste Lügen – und Uneinsichtigkeit. Mit Kerry, so die berechtigte Hoffnung, zögen Diplomatie, Weltläufigkeit und wohl auch ein wenig mehr Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit ins Weiße Haus ein.

Eine neues Gesicht und ein neuer Stil verändern aber nicht zwangsläufig die Politik. Lange vor dem Parteitag hat der kommende Präsidentschaftskandidat der Demokraten gesagt, was er von Bushs Außenpolitik hält: Sie ist nicht grundsätzlich falsch, sie ist nur nicht effektiv. Das gilt zuallererst für den Irakkrieg, für den der demokratische Senator einst selbst stimmte. Ein Abzug in absehbarer Zeit ist auch unter Kerry nicht vorgesehen. Auch beim bislang wenig erfolgreichen militärischen Kampf gegen den Terror wirft der Kandidat dem Amtsinhaber nicht zu viel, sondern eher zu wenig Entschlossenheit vor. Und schließlich hat Kerry klar gemacht, dass er die US-Streitkräfte weiter stärken und auch die Option zum Präventivkrieg aufrechterhalten wird. Die militärisch geprägte Außenpolitik bliebe unter Kerry bestehen. Im Zweifelsfall würde auch ein Präsident John Kerry ohne die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats militärisch intervenieren.

Hoffnungsschimmer böten sich für einen – längst noch nicht sicheren – Wahlsieg Kerrys dennoch. Der neue Mann im Weißen Haus würde die Beziehungen zu den Verbündeten verbessern – den Europäern würden sich dadurch größere politische Spielräume eröffnen. Ob die europäischen Regierungen diese Chance dann auch nutzen, ist eine ganz andere Frage. Wahrscheinlicher ist, dass die Verbündeten im Falle eines Wahlsiegs von Kerry, trunken von den lange vermissten Nettigkeiten, unentwegt von einer neuen großen Ära des Multilateralismus schwärmen. Vor lauter gefühltem Mitspracherecht werden sie dann aber vergessen, der neuen Riege in Washington auch tatsächlich zu widersprechen. ERIC CHAUVISTRÉ