: Biedermänner am Ball
1963 startete das „Aktuelle Sportstudio“ als affirmatives Gute-Laune-Fernsehen, hatte dank kompetenter Moderatoren aber auch immer wieder lichte Momente. Heute präsidieren schleimige Entertainer über seinem Niedergang (Sa., 22.50 Uhr, ZDF)
von MATTI LIESKE
Natürlich war es der Kaiser höchstpersönlich, der die Dinge wieder zurechtrücken musste. Ein Machtwort von Franz Beckenbauer beendete in den späten 80er-Jahren den letzten Versuch, das ZDF-Sportstudio zu einer Instanz des kritischen Journalismus werden zu lassen. Einige jüngere Mitarbeiter um den aus der Politikredaktion herübergewechselten Marcel Reif hatten es gewagt, ketzerische Anmerkungen und unbotmäßige Untertöne in die Berichterstattung über das deutsche Kickerwesen einfließen zu lassen.
Der Gegenschlag der Fußballbonzen und ihrer willfährigen Medien-Handlanger folgte auf dem Fuß. Reif, von der Springer-Postille Welt als „Agitprop-Reporter“ tituliert und von Beckenbauer als „Zauberer“ bespöttelt sowie als Nestbeschmutzer in Grund und Boden verdammt, wurde zurückgepfiffen, und das Sportstudio mutierte endgültig zum lupenreinen Schmuse-TV.
Eine Tendenz, die von Anfang an so fest zu dem am 24. August 1963 erstmals auf Sendung gegangenen Format gehörte wie die Wetterkarte zur Tagesschau. Fernseh-Sportberichterstattung vor 40 Jahren war ohnehin streng affirmativ, beschränkte sich aber bis dahin fast ausschließlich auf die sachliche Darstellung des Geschehens. Im damals noch „Aktuellen“ Sportstudio wollte man hingegen die sportelnden Menschen dem Zuschauer näher bringen – auf möglichst unterhaltsame Weise und in einem positiven Licht. Ein revolutionäres Konzept des Gute-Laune-Fernsehens, das kritisches Nachfragen zwar nicht ausschloss, aber kaum förderte. Kontroversen waren nicht erwünscht und entwickelten sich eher zufällig, wie zum Beispiel beim legendären „Interview“, das Rainer Günzler mit dem eisern schweigenden Boxer Norbert Grupe, „Prinz von Homburg“, führte. Ausnahmen bestätigen die Regel, zum Beispiel Harry Valériens knallharter Dialog mit Paul Breitner an einem spanischen Swimmingpool, nachdem sich die deutschen Fußballer bei der WM 1982 als charakterlich äußerst fragwürdig erwiesen hatten (Gijón!). Irgendwann musste man fürchten, der bärbeißige Fußballzyniker aus München würde den tapfer bohrenden Reporter jeden Augenblick im Pool ertränken.
Akzentuiert wurde die Geschichte des Sportstudios neben Max Gregers Big Band und dem dauerhaftesten Fernsehlangweiler seit Robert Lembkes Schweinderl, dem Torwandschießen, von den Highlights der netten Sorte: Wim Thoelke, dessen Masse auf Josef Neckermanns Dressurpferd zu ganz neuen, von Fury abgeschauten Figuren animierte; der freche Affe, welcher, von Johnny Weissmüllers Tarzanschrei ermutigt, dessen Gattin die Perücke vom Kopf rupfte; Muhammad Ali, der sich gutmütig beschwerte, dass ihm der kleine Karl Senne tagelang auf Schritt und Tritt gefolgt war, damit er auch tatsächlich ins Studio käme. Am Ende ließ der zu jener Zeit noch hypereloquente Boxer den anhänglichen Reporter wissen: „You’re too small to give me trouble.“
Getragen wurde das Sportstudio in seinen ersten Dekaden von der relativen Exklusivität seiner Bundesliga-Berichterstattung, den Studiogästen, die die ARD-Sportschau zeitbedingt nicht liefern konnte, und kompetenten Moderatoren von Valérien und Thoelke über Hanns-Joachim Friedrichs und den jungen Dieter Kürten bis zum Kabarettisten Werner Schneyder – Leute, für die Selbstironie kein Fremdwort war und die den Schleim längst nicht so reichlich fließen ließen wie ihre heutigen Epigonen.
Seit jedoch nicht mehr die Sportstudio-Präsentierer in den Showbereich abwandern, sondern omnipräsente Entertainer als Moderatoren posieren, das ZDF zudem in Sachen Bundesliga nur noch die dritte Geige spielt und halblebige Boxshows die Quote heben müssen, ist der Bedeutungsverlust unaufhaltsam. Die geplante Verlegung in den toten Sendeplatzwinkel um 23 Uhr ist da nur konsequent. Die Jubiläumsgala am Samstag um 23.50 Uhr sollte man sich natürlich dennoch auf keinen Fall entgehen lassen. Allein schon wegen Weissmüllers Affen und dem gesammeltem Schweigen des Prinzen von Homburg.