piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Taliban kämpfen wieder

Im Süden Afghanistans kommt es bei schweren Gefechten mit der wiedererstarkten Taliban-Miliz zu dutzenden Toten, doch diese heftigsten Kämpfe seit langem scheinen in der Hauptstadt Kabul niemanden wirklich zu beunruhigen

„Die Korruption der Warlords hebt neue Taliban aus der Taufe“

aus Kabul PETER BÖHM

US-Kampfflugzeuge und Hubschrauber haben gestern erneut Stellungen mutmaßlicher Taliban im Süden Afghanistans angegriffen und damit eine Bodenoffensive der afghanischen Armee und von US-Truppen unterstützt. Drei Stunden lang wurden Ziele in den Bergen des Bezirks Dai Tschupan bombardiert, sagte der Geheimdienstchef der Provinz Sabul, Khalil Hotak.

In der Region nordwestlich der früheren Taliban-Hochburg Kandahar gibt es seit einer Woche heftige Kämpfe zwischen von den USA und ihren Verbündten unterstützten Regierungstruppen und neu formierten Taliban. Die Truppen der Koranschüler in Sabul zählen nach Regierungsangaben 600 Mann, nach Taliban-Angaben gar 1.000. Sie haben sich in der schwer zugänglichen Bergregion in befestigten Anlagen verschanzt. Der von den USA gesuchte Taliban-Führer Mullah Omar hat in Sabul einen eigenen Gouverneur ernannt. Dieser Mullah Abdul Dschabar behauptete gestern gegenüber Reuters, seine Kämpfer hätten dem Gegner schwere Verluste zugefügt und ihre Stellungen behauptet. Das US-Militär meldete gestern den Tod von zwei Soldaten bei Kampfhandlungen. Zuvor war ein Angehöriger der US Special Forces kam ums Leben gekommen, allerdings nach US-Angaben bei einem Sturz.

Nach US-Angaben vom Samstag sind allein in den drei Tagen zuvor mindestens 33 Taliban-Kämpfer getötet worden. Sabuls Geheimdienstchef Hotak bezifferte die Verluste der Taliban seit letztem Montag mit 90.

Ein hochrangiger Vertreter des Präsidialamtes in Kabul, der ungenannt bleiben wollte, räumte gegenüber der Kabul Times ein, dass die Taliban vor dem Angriff die gesamte Provinz kontrollierten. Sie hätten dort auch die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit, woran lokale Warlords schuld seien. „Dieselben Kriminellen, Diebe und Mafiosi, deren Chaos die Taliban möglich gemacht hat, haben den größten Teil des Landes wieder unter ihrer Kontrolle“, sagte er. „Und ihre Ineffizienz und ihre Korruption heben wieder eine neue Taliban aus der Taufe.“

Regierungs- und US-Soldaten griffen in den letzten Tagen auch Taliban-Stellungen in der östlichen Grenzprovinz Paktika an. Dort starben gestern drei allierte Soldaten, deren Nationalität nicht bekannt gegeben wurde. In den letzten Wochen hatten sich die Taliban in Pakistans grenznahen Stammesgebieten unbehindert entfaltet. In der Hauptstadt der Provinz Balutschistan, Quetta, hielten sie Pressekonferenzen ab, und in der Grenzstadt Chaman verteilten sie offen Waffen, Geld und Propagandamaterial an ihre Kämpfer. Im Gegensatz zur afghanischen Regierung, die ihre Soldaten nur unregelmäßig bezahlt, locken die Taliban ihre Kämpfer mit 100 US-Dollar im Monat. Gestern nahmen Pakistans Behörden allerdings 26 mutmaßliche Taliban in Chaman fest, bei denen auch Waffen und Munition gefunden wurden.

Trotz dieser Entwicklungen gehen in Kabul die Menschen offenbar unbesorgt ihren Geschäften nach. So zeigte zum Beispiel der erste und längste Beitrag der Nachrichten des Regierungsfernsehens am Mittwoch Präsident Hamid Karsai beim Besuch der Bauarbeiten am Salang-Tunnel nördlich von Kabul. Der Sprecher der UNO-Mission, Manoel de Almeida e Silva, sprach auf seiner wöchentlichen Pressekonferenz am Donnerstag über ein Seminar über Kindersoldaten. Und der Sprecher der Nato-geführten Friedenstruppe Isaf, Manfred Wittig, sagte, dass für die Truppe ohnehin die höchste Sicherheitsstufe gelte.

Selbst Afghanistans Währung, deren Kurs sonst bei Kämpfen sinkt, steht seit Monaten stabil zum US-Dollar. Das liegt daran, dass die Zentralbank den neuen Afghani fest unter Kontrolle hat und niemand in Kabul eine Krise sieht. Dazu sagt der Geldwechsler Ahmed Beg: „Die Leute sind nach über 20 Jahren Bürgerkrieg einfach an diese Kämpfe gewöhnt. Das hat keinen Einfluss auf unser Leben, wir lassen uns keine Angst machen.“ Der Angestellte Farhad Akberi denkt ähnlich: „Die Taliban können uns nicht gefährlich werden, weil die Amerikaner das nicht zulassen würden.“ Der Medizinstudent Mohamed Samim sagt nur: „Kämpfe, Kämpfe, Kämpfe! Ich bin sie wirklich leid.“