: Unheilbares Wissen
Abtreibung wegen Down-Syndron? Das Ensemble Back to Back greift in „Soft“ auf Kampnagel die Problematik prä- und postnataler Gentests auf
von NIKOLA DURIC
Die Zuschauer betreten den Theaterraum auf Kampnagel durch eine Schleuse und nehmen in einer durch ein Luftgebläse aufrecht gehaltenen Hülle Platz. Was zuerst wie eine Eishöhle oder wie das Innere eines Iglus anmutet, entpuppt sich im Laufe des Stücks Soft von der Gruppe Back to Back als das Innere einer Stammzelle. Auf die Zellmembran werden DNA-Stränge projiziert, und in den Redepausen der Aufführung tanzen die Ensemblemitglieder kleine Chromosomen-Choreografien.
Das aus Australien kommende Back to Back Theatre gruppiert sich um ein Kernensemble von fünf Schauspielern mit geistigen Behinderungen. Nach 23 Theaterstücken haben sie mit Soft erstmals ein Projekt zum Down-Syndrom gemacht. Das Stück dreht sich um ein junges Ehepaar, bei dessen ungeborenem Kind Trisomie 21 festgestellt wird. Nun diskutiert das Paar in verschiedenen Szenen mit dem Autohändler, mit der Ärztin und mit der Psychologin darüber, ob sie das Kind bekommen sollen. Einige der Schauspieler haben selbst das Down Syndrom. Immer wieder wechseln sie ihre Rollen und Positionen, und nach und nach entsteht ein Erzählstrang, der sich wie eine DNA-Doppelhelix in sich selbst verdreht und eher nachdenklich macht, als einen Zeigefinger zu erheben.
Die immer präziser werdenden Möglichkeiten der Pränataldiagnostik (PND) ermöglichen heute schon während der Schwangerschaft eine Diagnose von Trisomie 21. Statistisch gesehen werden bei drei bis fünf Prozent der getesteten Frauen mögliche Behinderungen des Kindes festgestellt. 98 Prozent treiben nach einer solchen Diagnose ihr Kind ab. Manche Frauen bedauern das später, denn die PND kann zwar Defekte aufzeigen, sagt aber nichts über die Schwere der Krankheit. Das Krankheitsbild beim Down Syndrom ist sehr unterschiedlich. So können die meisten Betroffenen nach entsprechender Förderung als Erwachsene ein relativ selbständiges Leben führen. Nur rund zehn Prozent haben schwere Organfehlbildungen und sind lebenslang auf Hilfe angewiesen.
Die Hoffnung, Gen-Tests könnten die Garantie für ein „gesundes Leben“ liefern, ist trügerisch. Lediglich ein Bruchteil von Krankheiten kann so festgestellt werden, und die Tests geben oft nur Wahrscheinlichkeiten wieder. Und wem nützt diese Information? Die meisten Erbkrankheiten sind nicht heilbar und können auch nicht durch Vorbeugung verhindert werden. Die betroffenen Menschen bleiben mit dem Wissen um eine künftige Krankheit allein. Kritiker fragen auch, ob es legitim ist, die medizinische Grundversorgung konstant zu verschlechtern und gleichzeitig teure Gen-Tests für nicht therapierbare Krankheiten anzubieten. Versicherungen drängen bereits darauf, einen Gen-Test verlangen zu dürfen, um „Risikopersonen“ auszuschließen oder höhere Beiträge zu verlangen. Aus einer Gesellschaft der „Gesunden“, die bereits alte, behinderte und unheilbar kranke Menschen ausschließt, kann so mit Hilfe von Gen-Tests noch eine weitere Gruppe ausgeschlosssen werden – die „Noch nicht-Kranken“.
Doch über die übliche Schwarzmalerei der Gegner von Gentests setzt sich das Back to Back Theatre mit einer utopischen Volte hinweg. Am Ende des ersten Teils von Soft schwebt die Zellmembran über den Zuschauern durch ein Portal in die nächste Halle der Kampnagel-Räume. Das Finale des Stückes spielt in der Zukunft. Der letzte Mensch mit Trisomie 21 wird in eine Klinik gebracht und nach Gen-Tests für einen Alien gehalten. Der behandelnde Arzt freundet sich jedoch langsam mit der letzten „Laune der Natur“ an und flüchtet mit ihm, vorbei an zehn Meter hohen Stammzellen-Klonen, die das Krankenhaus bewachen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen