: Käpt‘n Kahn küsst Kunstleder
Nach dem 3:3 gegen Leverkusen muss Bayern München registrieren, dass zwar die vermeintlichen Problemfälle Santa Cruz und Makaay keine mehr sind, dafür aber die Abwehr bedenklich wackelt
aus München THOMAS BECKER
Uli Hoeneß ist ein impulsiver Mensch, kein Mann für halbe Sachen. Wenn er sich ärgert, dann richtig, dann kann er die Atmosphäre eines verheerenden Unwetters verbreiten. Und auch wenn er sich freut, hat er etwas von einem Naturereignis. Als Roque Santa Cruz nach einer Stunde in diesem so wunderbar in der Herbstsonne hin und her wogenden Spiel gegen Leverkusen das 2:2 erzielte, da hielt es den Manager des FC Bayern nicht mehr. Er sprang auf von der Ersatzbank und begann wie wild am darüber befindlichen Plexiglasdach zu rütteln.
Nicht nur der Fakt, dass der Kampf um die Tabellenspitze durch diesen Treffer wieder offen war, ließ Hoeneß so jubeln. Dass es Santa Cruz war, dem wieder ein wichtiges Tor gelang, freute ihn umso mehr. So viel Geduld mit der Verletzungsanfälligkeit des Paraguayers haben sie bewiesen, im Spitzenspiel gegen den Tabellenführer sogar den bisherigen Topscorer Pizarro für ihn auf die Bank gesetzt. Und dann trifft er tatsächlich.
Auch Roy Makaay müht sich eindrucksvoll, seine beachtliche Transfersumme abzuzahlen. Ballacks Flankenball schickte der Niederländer nach 25 Minuten so selbstverständlich per Volleyabnahme ins Bayer-Netz, wie andere Mitspieler einen Zehn-Meter-Flachpass fabrizieren.
Doch die Probleme des deutschen Meisters liegen nicht im Angriff. 15 Treffer bislang – kein Bundesligateam trifft besser. Die Defensive bereitet Kopfzerbrechen. Zehn Gegentore in sechs Spielen – so schlecht sind die Bayern zuletzt vor 26 Jahren in eine Saison gestartet. Schon zum dritten Mal kassierte Kahn drei Tore in einem Spiel. Von der Tribüne lästert die Lichtgestalt: „Wenn man so viele Gegentore bekommt, kann es keine starke Abwehr sein. Unser Problem ist seit Jahren, dass nicht mehr gedeckt wird.“ Man muss Franz Beckenbauer Recht geben, ausnahmsweise. In Minute zehn ließen die Bayern Ramelow ungehindert aus 17 Metern ins Tor ballern, in Minute 34 kam Franca unter freundlicher Beobachtung von Thomas Linke in den seltenen Genuss eines Kopfballtores; einzig bei Bastürks Treffer zum 3:3-Endstand fällt die Schuldzuweisung schwer.
Schuld an dem höchst unterhaltsamen Spiel am Samstag trugen aber vor allem die Leverkusener, eigentlich der Lieblingsgegner der Münchner. Keinen anderen Klub der Liga hatten sie öfter bezwungen (in 27 von 48 Spielen) und mehr Tore dabei geschossen (90). Der letzte Punktgewinn für Bayer im Olympiastadion ist fast zehn Jahre her, der letzte Sieg knapp 14 Jahre, Bayer-Trainer Augenthaler war damals noch Bayern-Libero. Zu Recht ärgerte er sich nun ein wenig über die verpasste Chance: „Es wird nie wieder so einfach sein, die Bayern im Olympiastadion zu schlagen.“ Kurz nach der roten Karte für den Nachtreter Zé Roberto hätten Neuville und Ponte das Spiel entscheiden können. Taten sie aber nicht. Kahn zeigte sich entsprechend dankbar: Als er um kurz vor fünf erstmals an diesem Nachmittag den Ball fangen konnte, drückte er ihm ein dicken Schmatzer aufs kunstlederne Gesicht. Bis zum 1:2 stand der von einer Bindehautentzündung geplagte Keeper mit einem Schweiß abweisenden schwarzem Stirnband im Tor – zum Seeräuber-Look fehlte Käpt’n Kahn nur noch die Augenklappe.
Auch von Hitzfeld steht demnächst einiges zu erwarten. Eine gewisse Ungeduld war seiner Spielanalyse zu entnehmen: „Es kann nicht sein, dass wir immer in letzter Minute wertvolle Punkte verlieren. Wieder haben wir einen Vorsprung nicht halten können.“ Mut hatte er schon nach dem Platzverweis bewiesen, als er durch Pizarros Einwechslung mit drei Stürmern die zwischenzeitliche Führung durch Ballacks Freistoß-Explosion erzwang. Gut möglich, dass er in Rostock mit einer neuen Defensivreihe aufläuft. Und er wird sicher wieder alles richtig machen.
Bayern München: Kahn - Sagnol, Kovac, Linke, Lizarazu - Schweinsteiger (59. Pizarro), Hargreaves, Ballack, Ze Roberto - Santa Cruz (75. Salihamidzic), Makaay (79. Rau)Bayer 04 Leverkusen: Butt - Schneider, Lucio, Juan, Placente - Ramelow - Bierofka (77. Bastürk), Ponte, Babic - Franca (65. Berbatow), Neuville (68. Lucic)Zuschauer: 63.000 (ausverkauft); Tore: 0:1 Ramelow (10.), 1:1 Makaay (25.), 1:2 Franca (34.), 2:2 Santa Cruz (65.), 3:2 Ballack (69.), 3:3 Bastürk (81.); Rot: Ze Roberto (57./Tätlichkeit) Besonderes Vorkommnis: Ballack scheitert mit Foulelfmeter an Butt (27.)