fußpflege unter der grasnarbe : Warum Nowotny und Ramelow gerne Stürmer wären
Es gibt Momente im Leben, deren Bedeutung man erst später richtig einzuordnen weiß. Oft erst viel später. Manchmal erst nach 14 Jahren. Meine erste und bis heute einzige Begegnung mit Jens Nowotny war so ein Moment.
Es war der Frühling 1990, Deutschland sollte in wenigen Monaten Weltmeister werden. Ich war 16 und reiste mit der Landesauswahl Schleswig-Holsteins zum DFB-Länderpokal nach Duisburg. In der Vorrunde mussten wir gegen die Elf des Badischen Fußballverbandes ran. Fast ausnahmslos riesige Kerle. Die meisten viel zu groß für ihr Alter. Ich weiß noch, dass wir Schleswig-Holsteiner Witze machten, dass der badische Trainer seine Mannschaft nach der Größe des Oberschenkelumfangs aufgestellt haben musste. Vor dem Spiel wurde gemessen, jeder mit mindestens 50 Zentimetern durfte mitmachen. In Wahrheit fanden wir das natürlich überhaupt nicht komisch. Wirklich nicht. Nein, wir hatten die Hosen voll.
Umso überraschender kam es, dass wir, der Außenseiter, bis kurz vor Schluss mit 1:0 führten. Doch ähnlich wie der FC Bayern seine traumatischen Minuten beim 1:2 von Barcelona Jahre später erleben sollte, erlebten wir unser Trauma von Duisburg. Das Spiel ist vorbei, wenn der Schiedsrichter pfeift – zugegeben, eine blöde Weisheit, würde ein Spiel doch sicher nicht zwei Tage dauern, nur weil der Schiri nicht gepfiffen hätte. Jedenfalls pfiff er an diesem Tag viel zu spät. In der Nachspielzeit verloren wir mit 1:2. Doppelter Torschütze war der Libero der Baden, ein Spieler vom FC Germania Friedrichsthal: Jens Nowotny, Saubermann des deutschen Fußballs, Profi von Bayer Leverkusen und Nationalverteidiger.
Am Spielfeldrand hatte damals auch ein kleiner blonder Mann mit Block und Stift in der Hand unsere Bemühungen, die badischen Riesen zu bezwingen, verfolgt. Jugendnationaltrainer Hans-Hubert Vogts hätte eigentlich erkennen müssen, dass Nowotny weniger für die Verteidigung gemacht war. Doch ich glaube, er war kurz vor Schluss beim Stand von 1:0 gegangen. „Nowotny ist für mich der beste deutsche Abwehrspieler“, behauptete Vogts jedenfalls noch zehn Jahre später, Tage bevor die Nationalelf bei der Europameisterschaft 2000 als Gruppenletzter nach der Vorrunde abreisen durfte.
Vogts war es auch, der Nowotny erstmals für ein Länderspiel nominierte - für die Abwehr. Wer weiß, ob Nowotny heute verteidigen müsste, wenn Berti Vogts damals bis zum Abpfiff geblieben wäre. Die Geschichte des Fußballers Jens Nowotny ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Sein Leben lang wird er in den Aufstellungen meist als erster Spieler nach dem Torwart genannt. Obwohl er doch ganz nach vorne in die erste Reihe gehört, dort, wo Siege entstehen. Kein Wunder also, dass Nowotny seit Jahren immer wieder verletzt ist. Nun zwickt sein Knie, und wissen Sie, warum? Er ist traurig, da er lieber stürmen würde. Und das macht ihn unkonzentriert und anfällig. Das ist der Grund!
Einige Monate später spielten wir übrigens gegen die Auswahl Berlins. Carsten Ramelow, der heutige Leverkusener Profi, der meist im defensiven Mittelfeld spielt, war auch dabei. Wir verloren 0:3. Raten Sie mal, wer die Tore schoss und heute lieber Stürmer wäre.
Fotohinweis: Oliver Lück ist 30 Jahre alt und freier Journalist. Er beendete seine 22-jährige Fußballkarriere mit einem unglaublichen Fallrückziehertor.