christoph schultheis : Nur „Coupé“ und „Kicker“ fehlen
Die Speerspitzen des investigativen Journalismus schreiben einen Brief.
Als würde es nicht reichen, dass Axel Springer Verlag und Spiegel künftig gemeinsam in alter Rechtschreibung schreiben usw., haben die beiden nun mit anderen einen Brief an Gerhard Schröder verfasst. Unter der Überschrift „Herr Kanzler, stoppen Sie die Zensur!“, stand er gestern in der Bild am Sonntag.
Unterzeichnet hat den Brief neben den Chefredakteuren von Spiegel, Stern und Playboy, Focus, Focus Money, „Focus TV“ und „Focus online“ auch die ganze Phalanx der Springer-Blätter von Bild bis Hamburger Abendblatt – und die Welt sogar doppelt. Des Weiteren finden sich unter den insgesamt 39 Unterzeichnern, hoppla, auch Chefs der Speerspitzen des investigativen Journalismus wie Neue Revue, Das neue Blatt, Neue Woche, Neue Post, Bunte, TV hören und sehen oder der Trierische Volksfreund.
Es geht dabei um das so genannte „Caroline-Urteil“ des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vom 24. Juni 2004, das sich von der bisher etwas differenzierteren Rechtsprechung in Deutschland insofern unterscheidet, als das EU-Gericht anlässlich einer Klage von Caroline von Monaco entschied, dass der Schutz der Privatsphäre wichtiger ist als das öffentliche Interesse an den Einkaufsbummel- oder Bikini-Bildchen Prominenter. Es geht dabei insbesondere um Paparazzi-Fotos. Und es geht darum, dass die Bundesregierung bis zum 25. September dem zweifellos heiklen EU-Urteil widersprechen kann, weshalb sich bereits Mitte letzter Woche die Chefs von Springer, Spiegel, Burda, Holtzbrinck, WAZ, Gruner + Jahr u. a., kurzum „die wichtigsten deutschen Verleger“ (Welt), in einem offenen Brief und „mit freundlichen Grüßen“ an den Bundeskanzler gewandt hatten. So. Und als wäre damit nicht alles gesagt, zieht jetzt also auch noch eine Horde Chefredakteure hinterher, was zunächst mal lustig aussieht, weil da nun Stefan Aust (Spiegel) und Kai Diekmann (Bild) Seit an Seit mit Stefan Westendorp (TV Movie) oder Werner Zedler (Guter Rat) „Bewahren Sie die Pressefreiheit!“ rufen. Weniger lustig allerdings ist, dass die Chefjournalisten – anders als wiederum ihre Verleger – völlig unerwähnt lassen, dass das EU-Gericht „für Publikationen über Politiker (…) Ausnahmen zulassen“ wolle – und stattdessen die Entscheidung, „die Privatsphäre vor Paparazzi zu schützen“, lieber einen „Vorwand“ nennen, mit dem sich „jede politische Berichterstattung verhindern“ lasse, was so nicht stimmt.
Andererseits ist der Brief getragen von der Sorge, dass künftig „allen seriösen Journalisten die Hände gebunden“ sein könnten. Und so gesehen ist es natürlich total nett, wie sich die Unterzeichner (wenn auch ungefragt) zu deren Fürsprecher machen.