zwischen den rillen : Das Zeitalter des Deliriums
Sie sagt gern „ich“, doch sie leidet für uns alle. Das Wunderkind namens Soap & Skin hat endlich sein Debütalbum vorgelegt
Langsam wundert man sich über gar nichts mehr. Nicht über das Ausmaß der Hysterie und über das mächtige Tönen der Hymnen im Blätterwald. Nicht über Titelblätter, auf denen eine schwarz verschleierte Diva trotzig-traurig zu Boden blickt, oder über die Tatsache, wie sehr diese Diva ihre Gesprächspartner im Griff hat, indem sie einfach gar nicht spricht und dafür umso vielsagender schweigt. Vielmehr fängt man an, diesen Zustand gesteigerter Beunruhigung zu genießen. Die schön-schaurige Frage lautet: Ob das wohl gutgeht?
Die Rede ist von Anja Plaschg: so jung, so talentiert, so verzweifelt! Die 18-jährige Musikerin aus der Steiermark musste sich in den letzten Jahren daran gewöhnen, dass ihre Geschichte als die des genialen Wunderkinds erzählt wird. Ihre Kunstfigur Soap & Skin, von der eigenen Persönlichkeit eigentlich nur in einem Akt der Schizophrenie zu trennen – Plaschg sprach in Interviews vom Monster, das sie geschaffen hat –, passt zu perfekt ins Klischeebild der überempfindsamen, tragischen Künstlerin. Blass, geheimnisvoll sitzt sie bei Konzerten am Klavier und schreit, heult, flüstert ihre Elegien und Trauermärsche. Sie reimt „curse of my oblivion“ auf „ages of delirium“, was wie ein Echo auf Zeilen von Nico klingt: „Janitor of lunacy / paralyze my infancy.“
Anja Plaschg war längst ein Phänomen, ein dunkler Stern am Pophimmel, bevor es von Soap & Skin überhaupt etwas zu hören gab. Vor fast drei Jahren erschien bei einem Berliner Elektronik-Label ein erstes einsames Stück. Jetzt erst folgt das Debütalbum „Lovetune For Vacuum“. Fast alle Stücke darauf hat Plaschg im Alleingang zu Hause aufgenommen und arrangiert. Sie braucht nicht viel mehr als ein E-Piano und ihre Stimme, manchmal ein paar Streicher, Prozessorknistern und digitales Orgelgebläse, um die dunkelsten Seiten der Romantik zu beschwören, den kreativen Rausch des Symbolismus, die Nervosität der Moderne. Der Schriftsteller Robert Scheider ließ den Protagonisten in seinem Roman „Schlafes Bruder“ Anfang des 19. Jahrhunderts an der eigenen Hypersensibilität und an der Liebe zugrunde gehen. Soap & Skin stellt heute mit Liedern wie „Brother Of Sleep“ und „Thanatos“ ihre Hypersensibilität und ihre Liebe zum Leid zur Schau.
Paradoxerweise bewahrt sie sich gerade deshalb ihr Geheimnis. Es gestaltet sich schwierig, beim Hören dieser sehr reduzierten und doch vor Pathos triefenden Musik von Plaschgs Biografie einerseits und von uralten Klischees andererseits zu abstrahieren. Etwa von diesem: Kunst ist Schmerz. Auch wenn Plaschg von solchen und ähnlichen Klischees nicht viel wissen will, so wird sie doch verfolgt davon.
Genauso wie sie viel Bewunderung wird aushalten müssen. Denn Anja Plaschg ist der Teenager, der wir in unseren Träumen alle gewesen sind und doch niemals sein durften: anders als die Anderen, einsam, weltschmerzbeladen, genial. Es gab den Versuch, ihre zum Teil einige Jahre alten Songs gemeinsam mit dem Wiener Gitarristen und Avantgarde-Elektroniker Christian Fennesz neu einzuspielen. Man beließ es bei dem Versuch. Wo Soap & Skin begonnen hatte – in der Einsamkeit ihres Zimmers –, da sollte dieses Album auch zu Ende gebracht werden. Folgerichtig steht darauf vor allem eines im Mittelpunkt: Ich. Meine Kindheit, meine Verletzlichkeit, meine Seelenabgründe. Gerade mit ihrer Egomanie bringen diese „Liebeslieder an die Leere“ die düsteren Seiten in all unseren Ichs zum Schwingen. Ob das gutgeht? Für uns auf jeden Fall. Stellvertreterinnenleid war immer schon das schönste Leid.
ARNO RAFFEINER
Soap & Skin: „Lovetune For Vacuum“ (Couch/Pias)