: „Ihr Gesang ist ihr Fortpflanzungskapital“
Handyklingeln, Autohupen oder Gesprächsfetzen sind für die fliegenden Imitationstalente leichte Übungen. Der Klangkünstler Tilman Küntzel installiert vor Bruthöhlen Apparate, die jungen Staren Werbemelodien vorspielen
taz: Herr Küntzel, wie kommt man als Künstler dazu, sich mit Staren zu beschäftigen? Das ist doch eigentlich eher was für Hobby-Ornithologen.
Tilman Küntzel: Ich will eine Sensibilität für Klänge aus unserem Lebensraum schaffen. Ich verstehe die Stare als organische Klangtransformatoren, die unbewusst und zufällig Klänge aufnehmen, transformieren und wiedergeben. Meine Klanginstallationen arbeiten immer mit Mechanismen, die ohne eine Tonkonserve eigenständig wie Instrumente funktionieren. Die Stare sind ein perfektes Beispiel.
Wie kommt es, dass Stare so versierte Imitatoren sind?
Stare sind sehr intelligente, gesellige Tiere mit einem ausgeprägten Sozialverhalten. Sie passen sich sehr gut ihrer Umgebung an und lernen die verschiedenen Geräusche ihrer Umwelt. Ihr Gesangsrepertoire ist ihr wichtigstes Fortpflanzungskapital. Ein Star, der mit seinem Gesang ein Weibchen beeindrucken will, muss schon eine gewisse Bandbreite an Geräuschen abdecken können.
Was hat der normale Stadtstar denn so im Repertoire?
Alle möglichen Zivilisationsgeräusche, vom Handyklingeln bis zur Autohupe. Da Stare oft direkt an Häusern nisten, kommen auch Geräusche aus dem Fernsehen oder von Computerspielen dazu, manchmal sogar Gesprächsfetzen. Ich kenne Aufnahmen von einem Star, der sogar Russisch spricht.
Gibt es unter den Staren Talent-Unterschiede?
Klar gibt es wie bei allen Lebewesen auch unter den Staren bessere und schlechtere Sänger. Wenn ein Star offen und gesellig ist, lernt er natürlich auch mehr. Die Qualität des Gesangs hängt also auch vom Charakter des einzelnen Vogels ab.
Kann man einem Star auch gezielt bestimmte Klangfolgen beibringen?
Ich bin gerade dabei, für die kommende Brutzeit an bestimmten Bruthöhlen Klangeinheiten zu installieren, die einem Star eine kurze prägnante Werbemelodie vorspielen, sobald er sich auf eine Stange setzt. Wenn alles klappt, könnte man im nächsten Jahr also durchaus Stare hören, die Melodien pfeifen, die fast jeder aus dem Fernsehen kennt. Werbejingles eignen sich gut, weil sie besonders einprägsam sind.
Die Stare entfremden sich also immer mehr ihrer natürlichen Klangwelt?
Das kann man so sagen. Als einen kleinen Beitrag zum Umweltschutz habe ich einen Handyton aus natürlichen Stargeräuschen produziert, den man kostenlos auf meiner Homepage runterladen kann. Wenn Stare Zivilisationsgeräusche wie Handyklingeltöne imitieren, könnten sie auf diesem Wege auch wieder ihre natürlichen Laute lernen.INTERVIEW: ALENA SCHRÖDER
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