: Von der neuen Technik überrollt
von KIRSTEN KÜPPERS (Text)und KARSTEN THIELKER (Fotos)
„Wenn ich einen erwische von den Typen, dann erschlag ich den!“ Ludger Theilmann hat eine Wut, die zu groß ist, als dass er still im Führerhäuschen seines Lkws sitzen bleiben könnte, wenn das Thema Lkw-Maut kommt. Nein, Ludger Theilmann muss mit einem Satz raus aus seinem Wagen auf den Parkplatz springen und schimpfen auf die Politiker und den Staat. Und natürlich auf Toll Collect.
Vor allem auf Toll Collect, das Betreiberkonsortium aus Telekom, DaimlerChrysler und der französischen Cofiroute, von deren Apparaten seine Spedition in Osnabrück vor zwei Wochen 14 von einer Werkstatt in ihre Lkws hat einbauen lassen. On-Board-Unit, Obu. Knapp 300 Euro hat ein Obu gekostet. Und was ist passiert? Ludger Theilmann zieht geräuschvoll die Luft ein. Erst haben die neuen Geräte zur Mauterfassung gelb geblinkt, dann rot, dann hat es überall nur noch gepiepst. Vier Stunden später funktionierte gar nichts mehr. „So eine Scheiße!“ Ludger Theilmann fährt sich mit der Hand an den Kopf. Er ist Lkw-Fahrer seit vielen Jahren schon, regelmäßig transportiert er tiefgekühlte Kartoffelprodukte von Nordrhein-Westfalen nach Frankfurt (Oder), eigentlich eine ruhige Tour. Aber jetzt steht Theilmann breitbeinig auf einer Raststätte kurz hinter Berlin, schnaubt und regt sich auf. Er schreit fast.
Seit Mittwoch ist es raus. Der Mautbetreiber Toll Collect hat auf Grund anhaltender technischer Probleme eine Rückrufaktion für die Mauterfassungsgeräte in den Lastwagen gestartet. 175.000 Geräte seien bislang eingebaut worden, erklärt das Konsortium. Davon müssten jetzt mindestens 20.000 umgetauscht werden, sagt der Deutsche Speditions- und Logistik-Verband. Das ist eine Katastrophe. Die Geräte müssen funktionieren. Sie sind die Voraussetzung für den geplanten Start der Lkw-Maut am 2. November. Schon im August sollte die Maut eingeführt werden. Dann war der Termin auf November verschoben worden. Inzwischen drängt die Zeit. Jeder Monat ohne Maut kostet den Staat 156 Millionen Euro Einnahmen.
Und wenn Ludger Theilmann jetzt dasteht und gegen den Lärm der Autobahn ruft, wer sich denn dann noch die Pommes wird leisten können, die er hinten im Wagen hat, weil es ja klar sei, dass die Verluste alle auf den einzelnen Bürger umgelegt werden, dann ist keiner da, der ihm widerspricht. Dann schimpft Theilmann als einer von vielen Lkw-Fahrern an der Raststätte Seeberg auf der Autobahn von Berlin zur polnischen Grenze. Längst geht es hier nicht mehr um Technik, um ein paar tausend kaputte Geräte. Die Männer stehen auf dem Parkplatz zusammen und gucken nicht mehr aufs Detail. Die Maut hat sich zu etwas Großem verselbstständigt, zu einer Ungerechtigkeit, einem Wahnsinn, den keiner hier mehr versteht. „Das Geld verschwindet irgendwo im Sack“, klagt ein Fahrer aus Dresden, „und wir kriegen dauernd weniger Lohn“. – „Schönen Gruß an die Politiker!“, meint ein anderer, bevor er mit seinem Waschbeutel in der Raststätte verschwindet, „Die sollen mal was von ihrem dicken Kuchen abgeben, nicht immer nur wir!“
Auch Jens Blume sagt: „Det is ja kompletter Wahnsinn, wat da verloren jeht an Geldern.“ Jens Blume ist Tankstellenpächter an einer Ausfallstraße in Berlin. Vor ein paar Wochen musste er eine Schulung besuchen. Toll Collect hat die Schulung veranstaltet. Der Mautbetreiber hat auch einen neuen grauen Kasten in Blumes Tankshop aufgestellt, gleich rechts neben dem Eingang. Das Gerät sieht ein bisschen aus wie ein Geldautomat, und dank der Schulung kann Blume es auch bedienen.
Der Automat ist dafür da, dass Lkw-Fahrer, die keine mobile Toll-Collect-Obu-Technik in ihrem Lastwagen eingebaut haben, trotzdem Maut bezahlen. Und in dem Kasten eine Mautvignette kaufen. Der Kasten wartet neben dem Regal mit den Colaflaschen. Er wartet, dass es endlich losgeht mit der Maut.
Und dass Jens Blume nun hingehen kann zum Automaten, sein Goldkettchen am Handgelenk zurückschüttelt, dann auf den Bildschirm tippt und zeigt, was er kann: das ist schon etwas. Das ist besser als nichts. Bei einem Kollegen von der BP-Tankstelle nur ein paar Meter weiter die Straße entlang zeigt das Gerät seit Tagen nur die Fehlermeldung: „Diese Mautstelle ist außer Betrieb“. Aber der Kasten von Jens Blume funktioniert. Er rechnet aus, dass die Strecke Berlin–Magdeburg 19,10 Euro kosten wird, er spuckt sogar eine Quittung aus. Der Tankstellenpächter bleibt trotzdem skeptisch: „Ist ja nur die Probephase. Ob’s klappt, wenn’s richtig angeschaltet ist, wer’n wir seh’n.“ Und in seinen Blick legt er all das Misstrauen, das ihn das Leben an der Straße gelehrt hat.
In einer Einfahrt in Berlin-Pankow steht ein Mann in einem grauen Kittel. Die Werkstatt, in der er arbeitet, ist einer der vielen Service-Partner des Betreiberkonsortiums. Hier bauen sie die Toll-Collect-Geräte in die Lkws. Der Mann im grauen Kittel ist verantwortlich für den Einbau, er steht vor der Werkstatt und will seinen Namen nicht nennen. Er will auch nichts Falsches sagen. Sie kriegen ihre Arbeit ja vom Betreiberkonsortium bezahlt. Deswegen hat der Mann im Kittel Verständnis für die Kollegen von der Technikfirma. Er sagt: „Die Politik hat Fehler gemacht.“ Er überlegt: „Die Leute von Toll Collect waren eigentlich ganz nett.“
Auf einmal biegt ein Lkw in den Hof, nimmt eine scharfe Kurve und bremst. Ein Mechaniker springt raus und sagt: „Hat nicht geklappt!“
Es ist ein kurzer Satz, aber er fasst die Lage zusammen. Sie haben die Technik eingebaut. Vor ein paar Wochen. Sie hat nicht funktioniert. Jetzt gibt es die Rückrufaktion. Gerade eben haben sie ein neues Gerät eingebaut. Schon das zweite. Es funktioniert immer noch nicht.
Der Mann im grauen Kittel sagt: „Na wunderbar!“. Dann läuft er eilig davon. Im Eingang zur Werkstatt steht ein Werbeschild: „Einfach und praktisch! Mit der automatischen Einbuchung über das Tollcollect-Fahrzeuggerät. Damit ab 1. September nichts klemmt!“