: Logik des Profits statt Logik des Siegs
Die internationale Politik hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges militarisiert. Peter W. Singer enthüllt die Rolle von Privatarmeen
VON HERMANN-JOSEF TENHAGEN
Die Männer eines der Schweizer Täler waren nur als ganze Truppe zu mieten, und sie wurden gern angeheuert. Die italienischen Städte des späten Mittelalters konnten sich einfach keine bessere Söldnertruppe vorstellen. Selbst heute noch finden Schweizer als Privatarmee im Ausland einen Job – beim Papst.
Etliche Haken allerdings hatte der Schutz durch ein solches Söldnerheer schon, denn die Truppe war nicht ganz verlässlich. Machiavelli formuliert das Dilemma so: Wenn die Truppe gut ist, besteht die Gefahr, dass sie die Macht in der Stadt übernimmt. Ist sie aber schlecht, haben die Stadtväter beim Waffengang schlechte Karten.
Der junge amerikanische Wissenschaftler Peter Singer berichtet in seinem Buch „Corporate Warriors“ noch von einem weiteren Problem. Schweizer traten nicht gegen andere Schweizer an. Trafen also Landsleute aufeinander, hatte die Söldnertruppe, deren Vertrag der jüngere war, das Recht, ihn nicht zu erfüllen. Anekdotische Beobachtungen wie diese machen Peter Singers große Studie über „Corporate Warriors“ sehr reizvoll. Vor allem aber ist das Buch eine kenntnisreiche Analyse des Wiederaufstiegs der Marktlogik in bewaffneten Konflikten.
Der Politologe Singer liefert zwei Erklärungen für die Privatisierung der weltweiten militärischen Konflikte. Zum einen brachte das Ende des Kalten Krieges ein größeres Angebot an Söldnern und eine größere Nachfrage nach ihnen mit sich. Und zum anderen gibt es eben nicht mehr nur Söldner, die für ihre Auftraggeber den Weg frei schießen, sondern es entwickelte sich ein ganzer Industriezweig, der aus Kämpfern („military provider“), Strategen („military consultant“) und Logistikern („military support“) besteht.
Der Aufstieg der „Corporate Warriors“, der Privatsoldaten, ist in den vergangenen zwei Jahren durch den Irakkrieg öffentlich geworden. Doch ausgebildet hat sich die Struktur vor allem in den Neunzigerjahren. In den USA, die hier eine zentrale Rolle spielen, ist diese Industrie mit Wissen und Billigung der Regierung Clinton entstanden.
Nach dem Ende des Kalten Krieges, schreibt Singer, verfügten viele Länder über ausgebildete Soldaten, die von ihren Armeen nicht mehr gebraucht wurden. Nicht mehr gebraucht, weil die Bedrohungsanalysen der großen Militärmächte andere geworden waren – und weil im Privatisierungselan der Neunzigerjahre auch große Teile militärischer Infrastruktur privatisiert wurden. Zudem gab es nun international ausgemusterte Waffen preiswert im Angebot. Singer erwähnt den „Flohmarkt“ beim Verkauf der NVA-Waffen, als leichte Maschinengewehre für 60 Dollar und kleine Kriegsschiffe für 200.000 Dollar auch an private Käufer gingen.
Wer wollte und über das Geld verfügte, konnten sich eine komplette Luftwaffe auf den internationalen Märkten mieten. Aus dem Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea beispielsweise ist bekannt, dass die äthiopische Regierung eine kleine Luftwaffe von SU-27 bei der russischen Firma Sukhoi mieteten – und die Piloten gleich dazu. Erfolg war den Äthiopiern damit allerdings nicht beschieden: Die angeheuerten Piloten bombardierten am liebsten zivile Ziele und wichen den Flugzeugen der Eritreer aus. Denn auch die sollten von russischen oder ukrainischen Piloten gesteuert werden.
Dem Angebot an ausgemusterten Elitesoldaten, Strategen und Logistikern stand seit dem Ende des Kalten Krieges auch eine Nachfrage gegenüber. Potentaten und Guerillagruppen, die jahrzehntelang versucht hatten, sich die Rückendeckung einer der beiden Supermächte zu verschaffen, standen jetzt häufig auf sich gestellt da. Statt Militärexperten auf dem Ticket einer Supermacht wurden nun kampferprobte Offiziere und Militärberater gesucht, die auf dem eigenen Ticket reisten.
Bezahlt werden die teuren und militärisch oft effektiven Berater, so Singer, häufig genug mit Rohstoffen, manchmal auch mit Drogengeldern. Diese Struktur integrierte die Privatmilitärs in andere Industriezweige, die solche Rohstoffkonzessionen nutzen können. Auch das machte die Anbieter von Militärdienstleistungen weltweit interessant. Singer berichtet ausführlich, wie diese Geschäftsbeziehungen etwa die Kriege in Angola und Sierra Leone prägten.
Doch nicht nur finstere Potentaten suchen ihre Macht mit Hilfe solcher Truppen zu sichern. Auch neue Staaten wie etwa Kroatien oder Bosnien und sogar UN-Hilfswerke bedienten sich auf dem neuen Markt der Militärdienstleistungen. Wenn die UNO wegen Geldmangels oder politischen Zwists keine erstklassigen Soldaten für die Aufgabe bereitstellen konnte oder wollte, auf dem privaten Markt waren amerikanische, britische, russische, südafrikanische und auch indische ehemalige Elitesoldaten für harte Dollar zu haben.
Singer berichtet ausführlich vom Umbau der kroatischen Armee zu einer schlagkräftigen Truppe durch den US-amerikanischen Militärdienstleister MPRI und die folgende erfolgreiche Wendung für die Kroaten im Krieg gegen die Serben. Und er vergisst auch nicht, zu erwähnen, dass MPRI erklärtermaßen keine Aufträge annahm, die nicht mit dem State Department abgestimmt waren. Schließlich waren praktisch alle führenden MPRI-Manager vorher hohe Offiziere in der US-Armee.
Auch die ehemaligen und übrig gebliebenen Supermächte bedienen sich für eigene Zwecke privater Soldaten. Die Russen heuerten ganz klassisch Söldner für den Tschetschenienkrieg an, die Amerikaner ließen ihre Soldaten von den privatisierten Exsoldaten der MPRI ausbilden, neue Waffensysteme für die Lebensdauer der Geräte von der Herstellern warten und Küchen, Sprit, Zelte für Milliardensummen von privaten Auftragnehmern wie Dyncorp oder der Halliburton-Gruppe bauen.
Halliburtons Tochterfirma Brown & Root profitierte in den Neunzigerjahren von ihrem neuen Chef, Dick Cheney, dem ehemaligen Verteidigungsminister und heutigen Vizepräsidenten. Er half, milliardenschwere Logistikaufträge in Bosnien und im Kosovo an Land zu ziehen, doch die Kontakte der Firma in die Politik reichen weit zurück, weiß Singer. Brown & Root war einer der wesentlichen Finanziers, die aus dem demokratischen texanischen Abgeordneten Lyndon B. Johnson den Präsidenten der USA machten.
Singer skizziert des Weiteren, wie die privat finanzierten ausgemusterten Elitesoldaten, die Strategen und Logistiker gemeinsam die Art verändern, wie Kriege geführt werden. Die Logik des Profits ersetze die Logik des Sieges, neue Aufträge und Auftragsverlängerungen seien oft wichtiger als der militärische Durchbruch, mindestens solange ausbleibender Erfolg lohnender sei als der Erfolg. Manchmal jedoch erleben die Auftraggeber ein Desaster. Da es preiswerter war, hatte eine US-Firma ehemalige Kellner, Köche und Kassierer zur Wartung von Kampfhubschraubern eingesetzt – bis sich die Abstürze häuften.
Bei der Suche nach solchen Beispielen für das Wirken der privaten Militärs kann der Harvard-Absolvent Singer auf seine Erfahrungen zurückgreifen, die er als Mitarbeiter des State Department in Bosnien sammeln konnte. Singer hat zudem die internationale Presse ausgewertet und verfügt über ausgezeichnete Zugänge zur Industrie. Zahlreiche Mitarbeiter und ehemalige Mitarbeiter der Firmen standen ihm Rede und Antwort, der Politologe ist ein gern gesehener Gast in den Onlinediskussionsforen, wie sie vom amerikanischen Lobbyverband der Industrie IPOA organisiert werden.
In seiner Einleitung schreibt Singer, er habe dieses Buch für die Akademiker verfasst, die sich mit dem Phänomen der neuen Privatisierung der Kriege beschäftigen müssten. Außerdem wende er sich an die Praktiker, denen er zeigen wolle, wohin die Entwicklung der Industrie führe, und natürlich an alle Laien, die wissen wollten, welche Kräfte bei der Militarisierung internationaler Beziehungen heute maßgeblich sind. Das ist ihm gelungen.
Peter Warren Singer: „Corporate Warriors. The Rise of the Privatized Military Industry“. Cornell University Press, Ithaka 2004, 330 Seiten, 18,95 Euro