schiefer schweigen von JOACHIM SCHULZ :
Seit je hat unsere Freundin Teresa bedauernswert wenig Fortune in Liebesdingen. Sie verkuckt sich bevorzugt in Kerle, die ihre Gefühle nicht erwidern und eiligst die Flucht ergreifen, sobald sie ihnen ihre amourösen Absichten gestanden hat. Daneben hat sie ein fatales Faible für verheiratete Männer. Genauso wie in schlechten Filmen hofft und harrt sie monatelang, dass der betreffende Romeo Gattin, Haus und Kinder für sie verlässt. Doch selbstverständlich passiert das nie, und am Ende sitzt Teresa wie üblich bei der Liebsten und mir auf dem Sofa und trinkt unsere Hausbar leer.
Jetzt aber gibt es in ihrer Firma einen neuen Kollegen, und dieser Mensch ist nicht nur unverheiratet, sondern auch ganz vernarrt in unsere leidgeprüfte Freundin. Wir sitzen in ihrer Küche, trinken Kaffee, und Teresa schwärmt ohne Atempause von ihrem neuen Favoriten. „Er ist charmant und witzig“, schwelgt sie: „Er stellt mir jeden Tag eine Rose auf den Schreibtisch. Und was er alles kann! Er kocht fantastisch und näht seine Anzüge selber. Vor allem aber ist er ein begnadeter Handwerker. Kommt mit, schaut euch das an …!“
„Tadaa!“, trällert sie verzaubert, nachdem sie uns ins Wohnzimmer geführt hat. Dann weist sie auf ein Regalbrett, das über dem Fernseher angebracht ist: „Hat er mir geschenkt und noch am selben Tag an die Wand gedübelt!“ – „Potzblitz!“, entfährt es mir, was allerdings nicht daran liegt, dass ich ihren Enthusiasmus teile. Denn selbst wenn ich in handwerklichen Dingen eine veritable Niete bin und jeden bewundere, der ohne viel Federlesens zu Bohrmaschine und Zollstock greift, meine ich doch konstatieren zu dürfen, dass ich noch nie ein dermaßen schief an die Wand geschraubtes Brett gesehen habe. Und schief ist gar kein Ausdruck.
Bevor ich mich jedoch mit einem ironischen Kommentar zu diesem Wunderwerk der Regalbaukunst hervortun kann, knufft mich die Liebste in die Seite. Zudem ist Teresa bereits in Richtung Bad gedampft. „Auch neu!“, ruft sie: „Seit Jahren wünsche ich mir einen Spiegelschrank!“ Wir folgen ihr, und als wir im Bad ankommen, klingelt das Telefon. „Bin gleich wieder bei euch!“, trillert Teresa …
Nachdem sie verschwunden ist, sagt die Liebste: „Der Schrank hängt jedenfalls gerade!“ Dafür liegt ein Duft in der Luft, der auch ihr nicht entgeht. „Riecht irgendwie nach Fäulnisgrube“, sagt sie, während ich einen Blick hinter den Spiegelschrank werfe und dort einige schmutzigbraune Schlieren entdecke. „Sieht ganz so aus, als habe er das Abflussrohr der oberen Etagen angebohrt“, sage ich, und die Liebste verzieht das Gesicht.
Trotzdem aber sagt sie: „Egal. Ich glaube, Teresa braucht das nicht zu erfahren. Man weiß doch, wie empfindlich Hobbyhandwerker sind. Kaum jubelst du ihnen nicht voller Begeisterung zu, kaum wagst du anzumerken, dass das Regal ein kleines bisschen schief aussieht und das Abflussrohr vielleicht ein winziges Loch abbekommen haben könnte, feuern sie den Schraubenzieher in die Ecke und verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Nein, mein Lieber, ich bin weiß Gott nicht scharf darauf, dass Teresa übermorgen schon wieder auf unserem Sofa sitzt.“ Und damit hat sie zweifellos vollkommen Recht.