: Alle Jahre wieder
Soll der 3. Oktober Nationalfeiertag bleiben? Oder wären nicht andere Tage viel besser geeignet?Die alte Debatte ist mal wieder neu entflammt. Wie jedes Jahr: Deutschland sucht den Supertag
VON STEFAN KUZMANY
Knapp fünfzehn Jahre nach dem Fall der Mauer sind immer mehr Menschen unzufrieden mit den Verhältnissen in Deutschland. Eine steigende Anzahl von Wessis betrachtet mit Kopfschütteln eine steigende Anzahl von Ossis beim Fäusteschütteln. 21 Prozent der Bundesbürger hätten die Mauer gerne zurück, von den Westdeutschen ist es jeder vierte, von den Ostdeutschen jeder achte. Dies ergab eine repräsentative Erhebung der Zeitschrift Stern. Man kann also offenbar immer weniger miteinander anfangen – und auch der gemeinsame Feiertag, der 3. Oktober, wird unbeliebter. So unbeliebt, dass Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) nun eine Debatte darüber angestoßen hat, ob man nicht einen anderen Tag im Jahr als deutschen Nationalfeiertag auswählen sollte. Wann also sollen die Deutschen feiern? Entscheiden Sie selbst.
3. Oktober
Tag der deutschen Einheit
Was war? Am 3. Oktober 1990 trat die DDR der BRD bei und beendete so ihre Existenz.
Vorteil: Bereits als Feiertag eingeführt.
Nachteil: „Kein Tag für Emotionen. Bringt nichts von dem rüber, was die Menschen hier 1989 erreicht haben.“ (Thierse) Wird von vielen als rein ökonomisch besetzt empfunden (Wirtschafts- und Währungsunion) und allzu stark mit der Person Helmut Kohl (CDU) assoziiert. In Bayern ist das Datum vom Tode Franz Josef Strauß’ (1988) überschattet.
9. Oktober
Tag des friedlichen Aufstands
Was war? Am 9. Oktober 1989 demonstrierten 70.000 Menschen in Leipzig friedlich gegen das SED-Regime. Die Staatsmacht, obschon bewaffnet und in großer Zahl vor Ort, reagierte nicht. Die Macht der SED war gebrochen.
Vorteil: Würde den „Beitrag der Ostdeutschen zur deutschen Geschichte würdigen“ (Thierse).
Nachteil: „Dieser Tag hat sicher für Leipzig eine besondere Bedeutung, in Rostock, Berlin oder Schwerin und anderen Städten der DDR gibt es jeweils andere Tage.“ (Werner Schulz, Die Grünen) Und was feiern die Westdeutschen an diesem Tag?
9. November
Der deutsche Schicksalstag
Was war? Am 9. November 1918 dankte Kaiser Wilhelm II. ab, die Weimarer Republik wurde ausgerufen. Am 9. November 1923 versuchte Hitler mit dem Marsch auf die Feldherrenhalle in München erstmals, an die Macht zu kommen. In der Nacht vom 9. November 1938, der „Reichspogromnacht“, vergingen sich die Deutschen an ihren Mitbürgern jüdischen Glaubens, sowie an deren Geschäften und Synagogen. Am 9. November 1989 endete faktisch die Trennung zwischen BRD und DDR: die Mauer wurde durchlässig.
Vorteil: Ein ambivalentes, dabei herausragendes Datum der deutschen Geschichte. „Für mich ist immer noch die Frage, warum diese Republik nicht den Mut hatte, den 9. November zum Nationalfeiertag zu bestimmen.“ (Joschka Fischer, Die Grünen)
Nachteil: Es wäre geschmacklos, den Tag der Judenverfolgung zu feiern. „Der Gedanke, sich zwischen Würstchenbuden und Volksfeststimmung an die Pogromnacht vom 9. November zu erinnern, erscheint mir unvorstellbar.“ (Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland)
23. Mai
Tag des Grundgesetzes
Was war? Am 23. Mai 1949 verkündete der Parlamentarische Rat das deutsche Grundgesetz. Traditioneller Wahltag des Bundespräsidenten.
Vorteil: Alle Deutschen könnten die Grundlage ihres Gemeinwesens feiern.
Nachteil: Kein Mensch kennt den 23. Mai. Sicherlich kein „Tag für Emotionen“ (Thierse). Außerdem hat uns dieses Datum unter anderem Horst Köhler (CDU) beschert.
18. März
Revolutionstag
Was war? Am 18. März 1848 kam es in den Staaten des Deutschen Bundes zu bürgerlich-liberalen Erhebungen gegen die Monarchie.
Vorteil: Die einzige gesamtdeutsche, friedliche Revolution aus freien Stücken.
Nachteil: Ein Tag, der nur noch Historiker aufwühlt. Zudem von der vorgeblich „liberalen“ FDP vereinnahmt.
8. Mai
Befreiung vom Faschismus
Was war? Am 8. Mai 1945 kapitulierte das Deutsche Reich bedingungslos. Der Zweite Weltkrieg in Europa war vorbei, der Faschismus besiegt.
Vorteil: Ein wirklicher Grund zum Feiern.
Nachteil: Das sehen leider längst nicht alle Deutschen so.
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