kommentar : Gegen die Reformpläne der CDU ist Schröders Agenda 2010 geradezu niedlich
Die meisten Bürger dürften inzwischen den Begriff „Lohnnebenkosten“ kennen. Die meisten Bürger wissen aber nicht, wie viel an Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung sie eigentlich bezahlen. Wer noch einen Gehaltszettel bekommt, sollte dort demnächst einmal nachschauen. Und dann kurz überschlagen, was es bedeuten könnte, für die Krankenversicherung eine 260-Euro-Pauschale zu bezahlen plus eine Zusatzversicherung für Zähne plus doppelt so viel für die Pflegeversicherung plus eine Extra-Privatvorsorge fürs Alter.
Fertig? Genau: Es bleibt verblüffend wenig Lohn übrig. Dies entspricht jedoch den Plänen der CDU. Nur Gutverdiener dürfen weiter ungerührt bleiben. Arbeitslose und Kleinrentner dagegen können davon ausgehen, dass sie mit einer CDU an der Regierung auch noch um ihre Krankenversicherung mit den Behörden kämpfen müssten. Denn den sozialen Ausgleich will die CDU über Steuern finanzieren. Das ist leider kein schlechter Witz – zumal die Union ja außerdem das Steuersystem so umkrempeln will, dass für ein paar Dutzend Milliarden Ausgleichzahlungen noch weniger Spielraum sein dürfte als etwa heute.
Was Angela Merkel nun binnen weniger Tage durch die CDU-Spitzengremien gepaukt hat und im Dezember durch den CDU-Parteitag drücken will, ist ein Sozialstaatsvernichtungsprogramm, gegen das die Agenda 2010 wirklich niedlich daherkommt. Und wie es aussieht, kann nur die CSU noch verhindern, dass sich die Union auf eine Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme festlegt. Zwar klingt die Kritik von Edmund Stoiber an Merkels Plänen eher verhalten. Zwar lässt sich unterstellen, dass jedweder Einsatz Stoibers weniger dem Wohl der Schlechterverdiener als vielmehr dem Zweck dienen soll, Merkel die Kanzlerkandidatur streitig zu machen. Zwar hat Stoiber erst gestern wieder Ankündigungen von der Art gemacht, die dann immer mit „harter Reformkurs“ bezeichnet werden.
Aber die CSU weiß offenbar besser als die CDU, dass die Union die Geringverdiener nicht vergrätzen und nicht zur reinen Wirtschaftspartei verkommen darf. Dafür gibt’s die FDP. Außerdem macht die CDU es der gestressten SPD zu leicht, wenn sie jetzt ein Hammerprogramm vorlegt, neben dem selbst ein Wolfgang Clement plötzlich aussieht wie der Engel der Solidarität. Und solange Stoiber seinen Vize Horst Seehofer noch ernst nimmt, wird die CSU eher gegen als für eine Komplettprivatisierung der Lebensrisiken eintreten.
Bleibt natürlich abzuwarten, was die Bayern im November für ein Konzept für Gesundheit, Rente und Pflege vorlegen. Vorläufig aber ist die CSU die wichtigste Partei der kleinen Leute.
ULRIKE WINKELMANN
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