: Integration statt Christenclub
„Auf der gesetzlichen Ebene hat die Türkei ihre Aufgaben erfüllt“: türkische und deutsche Politiker und Wissenschaftler diskutierten gestern in Bremen, wie weit sich die Türkei auf Europa zu bewegt hat, und was sie dafür erwartet
Bremen taz ■ „Die Todesstrafe ist abgeschafft, die Pressefreiheit ist verankert, die kurdische Sprache darf unterrichtet und im Fernsehen gesendet werden“, nannte der Leiter des Instituts für türkisch-deutsche Zusammenarbeit in Bremen, Ali Eliș, Beispiele für die Demokratisierungsbestrebungen der Türkei. Alles in Butter also am Bosporus?
Unter dem Titel „Die Heranführungsstrategien der EU für die Türkei auf dem Prüfstand der Politik-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften“ nahm gestern eine internationale Konferenz nicht nur die von Eliș genannten Punkte unter die Lupe. Geladen hatte die Bremer Wissenschaft, namentlich Hagen Lichtenberg, Leiter des Aufbaustudiengangs Europäisches und Internationales Recht an der Uni Bremen, unterstützt von Eliș’ Institut. Gekommen waren hochrangige Vetreter der Regierungspartei im türkischen Parlament AKP und von der Opposition, der Republikanischen Volkspartei CHP, Wissenschaftler der Istanbuler Universitäten und Wirtschaftsvertreter, ein fast 100-prozentiger Männerclub. Die Hand voll Frauen geriet bei Emin Özbas, dem Konrektor der Istanbuler Marmara-Universität, zu „Schönheitsengeln“.
„Auf der gesetzlichen Ebene hat die Türkei ihre Aufgaben erfüllt“, betonte Eliș und meinte damit sieben Gesetzespakete, die die türkische Regierung auf den Weg gebracht hat, seit das Land 1999 Beitrittskandidat zur EU geworden ist. Jetzt sei zu prüfen, wie die Gesetze in die Tat umgesetzt würden, sagte er. „Wir dachten, die AKP erfüllt die Aufgaben nicht, aber sie tut es“, zeigte sich der Wissenschaftler überrascht. Anliegen der Konferenz sei es nun, die Vorgänge in der Türkei konstruktiv zu kritisieren und zu unterstützen.
Im Gegenzug zu den Reformanstrengungen erwarte die Türkei eine Unterstützung von der EU, wie die Union sie auch anderen Beitrittskandidaten entgegenbringe, sagte Eliș. Die EU müsse sich entscheiden, ob sie ein „Christenclub“ sein wolle, oder eine religionsneutrale Wertegemeinschaft. „Wenn die Türkei mehr Achtung findet, wird die Integration der hier lebenden Türken auch einfacher“, hob Eliș hervor. Uni-Konrektor Özbas forderte dazu auf, den EU-Beitritt seines []Landes als Bereicherung zu sehen. Welcher Art Bereicherung brachte der EU-Vertreter in Ankara, Hans-Jörg Kretschmer auf den Punkt: „Eine wirtschaftlich stabile Tükei ist ein riesiger Markt.“ Auf dem Weg dorthin hapere es allerdings noch an der Umsetzung der verabschiedeten Gesetze: Etwa die Abschaffung der Folter sei noch nicht gesichert, ebenso die Rede- und Religionsfreiheit. Wenn es eine „echte Demokratisierung“ sei, könne die Türkei auf die Unterstützung der deutschen und Bremer Grünen setzen, betonte die Grüne Helga Trüpel für ihre Partei. ube