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Archiv-Artikel

Rostend im Nobelviertel

Die Gegend um den Bahnhof Friedrichstraße ist bald ganz glatt saniert. Nun will die Bahn auch die vergammelte Fußgängerbrücke über die Spree sanieren. Viel Geld lässt sie dafür aber nicht springen

VON BEN SCHWAN

Noch immer wird viel gebaut rund um den Bahnhof Friedrichstraße in Mitte. Am Reichstagufer ist das „Spreedreieck“-Hochhaus bald fertig, das die Frankfurter Allgemeine kürzlich gleich mehrfach (und völlig zu Recht) als an die Unfassaden der Siebzigerjahre gemahnend verriss. Schräg gegenüber auf dem Grundstück Planckstraße 17, wo jahrelang verbrannte Brache war, zieht unterdessen eine spanische Hotelgruppe einen 4- bis 5-Sterne-Komplex hoch, mit Mega-Swimmingpool, Spa und Wellness und unten Einzelhandel.

Die letzten Baulücken in der Friedrichstraße sind auch in Richtung Boulevard Unter den Linden geschlossen. An die zwei Mini-Parks, die es nach der Wende noch gab – den gegenüber dem Internationalen Handelszentrum und den vor dem abgerissenen Hotel „Unter den Linden“ – erinnert nichts mehr. Der Senat wollte Blockbebauung, der Senat bekam Blockbebauung. Luft bleibt wenig.

Wenn die letzten Bauarbeiten fertig sind, womit spätestens 2010 gerechnet werden kann, ist das Ensemble um den Bahnhof Friedrichstraße komplett. Es ist ein nobles Viertel geworden mit Einkaufsmöglichkeiten jeder Art, Botschaften, PR-Agenturen, Politikberatern und zahllosen Hauptstadtrepräsentanzen. Der Bundestag ist nah, man befindet sich „mittendrin“ und geriert sich auch so.

Aus dem Rahmen fällt bislang allerdings die Anbindung der Friedrichstraße in Richtung Friedrich-Wilhelm-Stadt – das ist die Gegend vom Schiffbauerdamm bis zur Charité, die trotz extremer City-Lage als noch immer angenehmes Wohnviertel gilt. (...)

Über eine Brücke, die an der Eisenbahntrasse über die Spree angedockt ist, gelangt man direkt vom S-Bahnhof hinüber. Sie ist quasi das letzte Relikt, das in der Gegend an DDR-Zeiten erinnert: Stahl mit Asphalt überzogen, eine verrostete Gitterkonstruktion, die bereits Löcher hat und Fußgänger vor dem Absturz in die Spree bewahren soll – und viele hastende Menschen, die auf sich und ihre Umwelt hier ungern achten, ist es doch sehr trist. Punks haben die Überführung inzwischen für sich entdeckt, auch der eine oder andere kleine Drogendealer, sonst im Dunstkreis des Reichstags eher eine Seltenheit, wurde bereits gesichtet.

Die letzte Renovierung des Bauwerks liegt einige Jahre zurück – als die Stadtbahn vor der Jahrtausendwende erneuert wurde, nahm man sich auch diese Brücke vor. Es ist dabei gar nicht so einfach zu erfahren, wer für die Anlage zuständig ist. Für Brücken ist in Berlin eigentlich die Brückenbauverwaltung zuständig, doch gehört die Fußgängerbrücke am Bahnhof Friedrichstraße der Deutschen Bahn. Und die hatte nach einigem Hin und Her – das Unternehmen ist längst in zahlreiche Profitcenter unterteilt – eine frohe Kunde zu berichten: Man werde das Bauwerk noch in der ersten Jahreshälfte 2009 sanieren. Eingeplant seien dafür 150.000 Euro.

Eckhard Thiemann, der lange Jahre als Brückenbauer beim Senat arbeitete und heute als Rentner Bücher zum Thema schreibt, hält dies allerdings nur für einen Kleckerbetrag. Dafür sei „höchstens ein neuer Anstrich drin“, meint er.

Schicke Alternative

Dabei gäbe es auch eine Alternative zum angejahrten Eisenbauwerk: Rund zehn Meter die Spree hinunter Richtung Westen stand einst eine wesentlich ansehnlichere Brücke in die Friedrich-Wilhelm-Stadt. Der sogenannte Schlütersteg verknüpfte Schiffbauerdamm und Neustädtische Kirchstraße mit einer schmiedeeisernen Linsenträger-Fachwerkkonstruktion. Der im Jahr 1890 fertiggestellte Gründerzeitbau wurde 1945 im Krieg zerstört. Seither müssen Fußgänger eingeklemmt unter der Eisenbahnbrücke die Spree überqueren.

Dass irgendjemand auf die Idee käme, den Schlütersteg wieder zu errichten, glaubt Brückenexperte Thiemann allerdings nicht: Das wäre zu aufwändig und zu teuer. So bleibt nur zu hoffen, dass die Bahn die jetzige Überführung doch mit mehr als nur einem Anstrich bedenkt. Sonst klafft im noblen Viertel weiter ein unnobles Schandmal.