: Milbradt leidet an dem Wahlkampf
DRESDEN taz ■ Die „Elefantenrunde“ im MDR-Fernsehen sah einen müde und gereizt wirkenden CDU-Spitzenkandidaten. Erst wenn er sich nach irgendeinem Fassanstich kurz mit einem Bierglas an einen Tisch setzen kann, entspannen sich seine Züge. Dann erlebt man plötzlich den aufgeräumten Plauderer, den populären Gummistiefel-Ministerpräsidenten der Hochwassertage 2002. Zumeist aber muss da einer einen Wahlkampf bestreiten, für den er nicht geschaffen ist.
Der Erwartungsdruck ist übergroß, die Bedingungen zugleich schwierig wie nie zuvor seit 1990. Kurt Biedenkopf stand synonym für absolute CDU-Mehrheiten jenseits der 55 Prozent. Nach dem Zerwürfnis zwischen ihm und dem ehemaligen Finanzminister Milbradt putschte der 2001 parteiintern nahezu geräuschlos und löste Biedenkopf im April 2002 als Ministerpräsident ab. Die Mehrheit der Landespartei, die ihn dabei unterstützte, tat dies auch aus Sorge um den CDU-Machterhalt bei der nun anstehenden Wahl.
Aber jetzt wird die sächsische Union wird nicht nur für den Sozialabbau auf Bundesebene in Mithaftung genommen. Sie muss im Grunde auch gegen ihren eigenen Spitzenkandidaten kämpfen. Denn es hat sich herumgesprochen, dass der Mann, der um ein Haar auf Montagsdemos aufgetreten wäre, im Vorjahr noch weit schärfere Zumutungen bei Hartz IV durchsetzen wollte.
Trotzdem folgte die CDU in Sachsen der Umfragearithmetik und dem traditionellen Königsbonus und setzte total auf Milbradt. Mit 57 Prozent Zustimmung zu seiner Politik liegt er in der Wählergunst rund ein Dutzend Punkte vor der Partei.
Dennoch führt die CDU eine Art Verzweiflungswahlkampf gegen den drohenden Verlust der absoluten Mehrheit. Generalsekretär Hermann Winkler beschwört jenseits der CDU ein „rot-grün-braunes Chaos“ und handelt sich eine Anzeige ein. Alles wird mobilisiert: Eine Einweihung jagt die andere. Hofmaler Michael Fischer-Art enthüllt ein „Sachsenporträt“. Die „Initiative Soziale Marktwirtschaft verleiht Milbradt gerade rechtzeitig den Titel „Ministerpräsident des Jahres“. Das MDR-Fernsehen verkürzt seine Spätnachrichten um die Hälfte und gewährt Angela Merkel zehn Minuten Sonderinterview, in denen sie zur Wahl Milbradts und der CDU aufrufen kann. Es geht um alles oder nichts. Koalieren hat die Sachsen-Union nicht gelernt, und es gibt, so Winkler, „keinen Plan B“ für weniger als die absolute Mehrheit. MICHAEL BARTSCH