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Archiv-Artikel

Lehrer völlig unvorbereitet

Überrascht gaben sich die TeilnehmerInnen des Norddeutschen Gesamtschulkongresses der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule. Unter dem Motto „eigenverantwortliches Lernen, erfolgreiches Lernen“ war Pflichtgefühl Trumpf

Bremen taz ■ Die meisten der lediglich acht TeilnehmerInnen hatten keine Lust zu kommen. Aus Pflichtgefühl sei sie hier, offenbarte Jutta Fernholz von der Gesamtschule Mitte. Und weil das Thema ja doch irgendwie wichtig sei. Das sahen die anderen LehrerInnen ähnlich.

Ohnehin wäre der Workshop „Abitur nach 12 Jahren – (k)eine Chance für GesamtschülerInnen?“ beinahe ausgefallen. Schließlich war es die einzige bildungspolitische Arbeitsgruppe beim Norddeutschen Gesamtschulkongress der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule (GGG). Der stand unter dem Motto „Eigenverantwortliches Lernen, erfolgreiches Lernen“. Gut 100 LehrerInnen aus Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern trafen sich dazu am Freitag in der Gesamtschule Mitte. Für den arbeitsfreien Samstag reichte das Pflichtgefühl nur noch bei der Hälfte.

Von der Aktualität politischer Fragen angesichts des neuen Bildungsberichts der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) zeigte man sich sehr überrascht. „Darauf waren wir überhaupt nicht vorbereitet“ so Schulleiter Gerhard Hildebrandt von der Integrierten Gesamtschule Wilhelmshaven. Die OECD-Studie hatte das deutsche Bildungssystem scharf kritisiert. Es sei zu selektiv, hieß es. Zu viele SchülerInnen würden aussortiert, zu wenige bekämen individuelle Förderung.

Kein Thema offenbar für einen LehrerInnen-Kongress. Zwar wurde im Eröffnungsvortrag gefordert, dass die Diskussion um die Gesamtschulen jetzt ganz neu geführt werden müsse. „Schon der Begriff Gesamtschule“, so der hessische Lehrer Achim Albrecht „ist verbrannt.“ Allein: Diese Debatte fand in Bremen nicht statt.

Erst einmal mussten sich auch die LehrerInnen aus der politischsten der Arbeitsgruppen einen Vormittag lang mit den Schulsystemen der einzelnen Bundesländer vertraut machen. Gegenseitig erklärte man sich, welche Schüler wann wie viele Unterrichtsstunden abzuleisten haben und in welcher Zeit man wo zum Abitur gelangt. Gemeinsamkeiten und Unterschiede wurden auf Stichwortkärtchen notiert. Nachmittags sollten dann Fragen und Visionen zum Thema aufgeworfen werden.

Am Ende einigte sich der Gesprächskreis darauf, seine Grundfrage mit einem entschiedenen Vielleicht zu beantworten. Eine allgemeine Verkürzung der Schulzeit auf 12 Jahre sei abzulehnen. „Sie verschärft die Auslese der Kinder“, begründete Hildebrandt. Das führe „zu einer steigenden Zahl gymnasialer Schulabbrecher“. Und verstärke, so ergänzte Dieter Zielinski vom GGG-Landesvorstand Schleswig-Holstein, die soziale Selektion.

Gleichzeitig solle es aber, Selektion hin oder her, künftig den einzelnen Schulen überlassen bleiben, zu welchem Zeitpunkt sie Abitur machen. „Wir wollen in der Frage der Schuldauer mehr Offenheit und Flexibilität erreichen“ betont Hildebrandt. Schulen mit einem Abitur nach acht Jahren müssten neben solchen bestehen können, die ihre Abschlüsse erst nach neun vergeben. Und keinesfalls dürften die Schnellläuferklassen den Gymnasien vorbehalten bleiben.

Noch auf sich warten lässt indes die angekündigte „Bremer Erklärung“ der GGG. Zwar durften zum Abschluss des Kongresses noch einmal alle Arbeitsgruppen in aller Ausführlichkeit darlegen, was aus ihrer Sicht Gegenstand einer solchen Willenserklärung sein könnte. Doch jetzt müsse man erst einmal die Ergebnisse bündeln und in den Landesverbänden abstimmen, erklärte Mitorganisator Kalle Koke von der Schulleitung der Gesamtschule Mitte. „Da darf es keinen Schnellschuss geben.“

Jan Zier