: Nazis im Landtag: Cool bleiben?
ja
Bitte keine Ausgrenzung, keine Dämonisierung, keine Sonderstellung der NPD-Parlamentarier. Demokratische Strukturen eignen sich bestens, sie zu domestizieren.
Die NPD hat es geschafft. Nach 38 Jahren – 1968 in Baden-Württemberg – gelang den Neofaschisten endlich wieder der Einzug in ein Landesparlament. Die NPD hat es geschafft? Spitzenkandidat Holger Apfel findet, dass es „Zeit für ein anderes System“ sei. Daraus wird wohl nichts: Aller Voraussicht nach wird Apfel ein exponierter Mitspieler des „alten Systems“: als NPD-Fraktionschef im sächsischen Landtag. Natürlich: Erfreulich ist das nicht. Fraglich ist aber, ob Apfel und seine Kameraden auch vom Landtagsrednerpult uns Deutschen empfehlen werden, „den Blutzoll der Wehrmachtssoldaten im Kampf um das Reich sich zum Vorbild zu nehmen“. Und selbst wenn: Ist das eine Gefahr für Deutschland?
Jeder Anschein von Rechtsradikalismus schadet dem Ansehen des Landes, hat Anton Börner, Präsident des Bundesverbands des Groß- und Außenhandels, gestern erklärt. Der Dresdner Bischof Jochen Bohl spricht von einem „Ansehensverlust unseres Landes in Europa und der Welt“. Warum eigentlich? Ist für das Ansehen dieses Landes nicht vielmehr entscheidend, wie souverän es mit unerwünschten politischen Entwicklungen umgeht? Deshalb bitte: Cool bleiben! Die demokratischen Institutionen in Deutschland sind stark genug, um ein paar rechtsextreme Außenseiter zu assimilieren.
Zum Beispiel Sachsen-Anhalt. Viele Beobachter prophezeiten nach dem Erdrutschsieg der DVU – 12,9 Prozent im April 1998 – braune Gefahr, die in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Tatsächlich sorgten die Magdeburger DVUler für Furore: Einer rannte ständig mit Pistole im Halfter rum, ein anderer schaffte es als Spitzel in die Schlagzeilen. Ein DVU-Abgeordneter lässt sich von einer Hure einen blasen, bezahlt dafür aber nicht. Eine DVU-Abgeordnete wird erst ausgeschlossen und bezweifelt dann, „dass die DVU eine demokratische Partei ist“. Die WählerInnen strafen die DVU bei den folgenden Kommunalwahlen ab. Vier Jahre später hatte sich das Kapitel erledigt – die DVU trat erst gar nicht wieder an.
Ein Gegenbeispiel? Brandenburg: Die Medien des Landes hatten nach dem DVU-Wahlsieg beschlossen, die aus München ferngesteuerte Truppe einfach zu ignorieren. Das hat sich nun als Fehler erwiesen. „Wir sind Menschen, die ihre Träume in die Tat umsetzen“, lautet der Einstiegssatz auf der Homepage von Fraktionschefin Liane Hesselbarth. Konkret sehen diese Träume so aus: Die DVU will Polizisten die Möglichkeit des finalen Rettungsschusses einräumen. Die DVU beantragt, in Brandenburg den Euro abzuschaffen. Die DVU fordert die Abschaffung des Landesamtes für Verfassungsschutz – das es in Brandenburg nur als Abteilung im Innenministerium und nicht in eigenständiger Form gibt. „Es ist nach unserer Ansicht einfach unmoralisch, bestimmte Hunderassen allein aufgrund ihrer rassespezifischen Merkmale als gefährlich und damit als verboten einzustufen“, erklärte der DVU-Abgeordnete Michael Claus. Höhepunkte parlamentarischen Schaffens, die die Welt erfahren sollte.
„Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ – als Demokraten sollten wir auch den Teil von Volkes Votum akzeptieren, der uns nicht passt. Also bitte keine Ausgrenzung, keine Dämonisierung, keine Sonderstellung – sondern parlamentarische Normalität. Obwohl das NPD-Personal in Sachsen längst nicht so tumb ist wie einst der DVU-Haufen in Sachsen-Anhalt – die Wahrscheinlichkeit, dass auch sie sich selbst entzaubern, ist groß. Verbreiten sie ihre Blut-und-Boden-Ideologie penetrant im Landtag, werden sie jene Wähler vor den Kopf stoßen, die es am Sonntag „denen da oben“ nur mal zeigen wollten. Schlagen sie einen gemäßigteren Kurs ein, verlieren sie die so wichtige Gefolgschaft der braunen Kameradschaften. Der Wahlsieg als Zwickmühle für die NPD.
Am Problem ändert dies allerdings wenig. Anders als die DVU ist die NPD keine Phantompartei. Sie besitzt lokale Strukturen und ein politisches Hinterland. Gerade in Sachsens Problemgebieten, der Sächsischen Schweiz oder der Oberlausitz, ist das NPD-Angebot oft das einzige, das etwa bei den arbeitslosen Jugendlichen Anklang findet. Wer also will, dass der NPD-Wahlsieg eine einmalige Episode bleibt, muss ganz nach unten gehen: Perspektiven in perspektivlose Regionen bringen. NICK REIMER
Fotohinweis: NICK REIMER hat als Dresden-Korrespondent der taz von 1998 bis 2001 den Weg der NPD verfolgt. Heute ist der Sachse Redakteur für Wirtschaft und Umwelt.
nein
Ignorieren, Ausgrenzen und Isolieren – einen anderen Umgang darf es im neuen sächsischen Landtag mit der NPD nicht geben. Denn alles andere würde sie als normale politische Akteure legitimieren. Vor Ort dagegen, wo ein Viertel aller WählerInnen NPD gewählt hat, gilt es zu intervenieren.
Auf 15 bis 25 Prozent schätzen Demografen den Bevölkerungsanteil mit verfestigten ausländerfeindlichen Einstellungen. Bislang hat die Mehrheit der rechten Wähler die großen Volksparteien gewählt: Weil sie denen in ihrer Autoritätsfixiertheit die Lösung schwieriger Probleme eher zutrauten. Nun haben sich diese Wähler fürs Original entschieden. Erstmals seit 30 Jahren zieht die dienstälteste Neonazi-Partei Deutschlands – die NPD – wieder in einen Landtag ein.
Das rechte Potenzial der Mitte der Gesellschaft hat genau die Partei gewählt, die mit extremem Rassismus, Nationalismus und Autoritarismus die eigenen Haltungen in Reinkultur verkörpert. Die Mandatsträger der NPD sind bekennende Rassisten und Antisemiten; sie glorifizieren den Nationalsozialismus und eine Ideologie der Ungleichheit. Daraus haben sie nie einen Hehl gemacht. Und sie agieren aus der Mitte der Gemeinden.
Der Erfolg der NPD in Sachsen wird das Selbstbewusstsein der extremen Rechten – auch der militanten Neonazi-Kameradschaften – bundesweit stärken. Schon im ersten Halbjahr diesen Jahres wurde in Ost und West ein Anstieg rechter Gewalt registriert. Jeden Tag wird in Deutschland jemand angegriffen, weil er oder sie nicht ins rechte Weltbild passt. Eine Zivilgesellschaft, die jetzt nicht interveniert, lässt diejenigen im Stich, die in der Sächsischen Schweiz, den Vorortbahnhöfen von Hamburg oder den Schulen in Oberfranken im Visier von Neonazis stehen. Und nicht die Wahl haben, einem Viertel der Dorfbevölkerung aus dem Weg zu gehen.
Die NPD setzt auf die Konzepte der NSDAP: Einkreisung der Städte durch das Land, „Kampf auf der Straße“ und „Kampf in den Parlamenten“. Doch die Erfolge der extremen Rechten sind selten das Ergebnis von brillanten Strategen; sie sind in erster Linie ein Indikator für die Gleichgültigkeit und die Versäumnisse der Zivilgesellschaft und ihrer Institutionen.
Wer noch immer meint, man könne Neonazis als „Jugendphänomen“ verharmlosen, verkennt die Ursachen ihres Erfolgs. Durch das Scheitern des Verbotsantrags wurde die Steilvorlage geschaffen für die derzeitige Inszenierung der NPD: Als permanente Opfer einerseits, als scheinbar widerspenstige Rebellen andererseits. In dieser Inszenierung finden sich die WählerInnen der Neonazipartei wieder. Hinzu kommt der allzu kurze „Aufstand der Anständigen“: Wer erinnert sich noch daran, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vor vier Jahren parteiübergreifend dem Rechtsextremismus den Kampf ansagen und demokratische Kultur stärken wollte? Gerade in den Regionen, in denen die NPD ihre besten Ergebnisse einfuhr, wird eine nicht rechte oder alternative Kultur mehr denn je als eigentlicher Störenfried der kommunalen Ordnung ausgegrenzt.
Mitverantwortung tragen aber auch Gewerkschafter, die Standortnationalismus als letzte Hoffnung gegen die negativen Folgen einer globalisierten Wirtschaftsordnung propagieren. Oder Organisatoren von „Montagsdemonstrationen“, die militante Neonazi-Kameradschaften und NPD-Funktionäre mitlaufen lassen mit dem Argument: „Wir wollen niemand ausschließen, solange er gegen Hartz IV und nicht verboten ist.“
Politisch Verantwortliche, die die Kultur des Wegsehens und der Verharmlosung von rechter Alltagsdominanz und Gewalt weiter wie bisher betreiben, verschaffen der NPD und ihren Steigbügelhaltern bei den Neonazi-Kameradschaften noch mehr Freiräume und Zulauf. Nicht Schönreden ist jetzt gefragt, sondern Unterstützung für diejenigen, die vor Ort für eine offene Gesellschaft und gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus streiten. HEIKE KLEFFNER
Fotohinweis: HEIKE KLEFFNER arbeitet als freie Journalistin zu den Themen Rechtsextremismus und Migration. Derzeit leitet sie die „Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt“ in Sachsen-Anhalt.