: Otto Normalneonazi
Der „Kampf gegen rechts“ ist gescheitert, weil er Rassismus und Antisemitismus nicht als politisches Problem begriffen hat. Zudem grenzt sich die CDU nur ungern nach rechts ab
In Sachsen ist die NPD so stark wie die SPD, bei den Erstwählern sind die braunen Kameraden zweitstärkste Kraft. Zeit, ein Fazit zu ziehen: Der „Kampf gegen rechts“ ist gescheitert.
Niemand wird offen zugeben, dass es sich bei der regierungsamtlichen „Antifa“, initiiert nach dem Medienhype gegen Rechtsextremismus vor fünf Jahren, nur um heiße Luft handelt. Doch: Der „Kampf gegen rechts“ war nur ein moraltheologischer Metadiskurs, flankiert durch die dazu passenden leicht hysterischen Berichte. Der „Aufstand der Anständigen“ hatte wie auch der „Kampf gegen Drogen“ mit der Realität rein gar nichts zu tun und musste daher schon im Ansatz scheitern.
Statt einen anständigen Aufstand zu machen, häuften die Politiker nur Textbausteine auf. Es gelte „Mut gegen“ oder „Zivilcourage“ zu haben. Oder es wurde die ethnologisch recht abwegige These vertreten, das Vorzeigen der guten, wahren und schönen Symbole, der richtigen Flaggen oder des eigenen Gesichts würde magisch gegen das Böse wirken. Kurz: In Deutschland sieht man, wenn überhaupt, Rassismus und Antisemitismus als theologisches, das heißt letztlich verhaltenstheoretisches Problem und nicht als ein politisches.
Der kategorische Imperativ in der protestantisch geprägten Alltagskultur lautet: Habe die richtigen Gefühle, dann wird alles gut. Das Ergebnis ist kathartisch: Alle Beteiligten fühlen sich entlastet, weil das vermeintliche Problem an Lehrer, Sozialarbeiter und Pfarrer delegiert werden kann. Die tun was. Was sie tun, interessiert dann nicht mehr, wenn sich mit Vergabe der Fördergelder bei Gebern und Nehmern das beabsichtigte gute Gewissen auf Dauer eingestellt hat.
Der Kampf gegen rechts, gegen Drogen und andere verpönte Dinge ist die moderne Form des mittelalterlichen Exorzismus und wird, wie jener, mit magischen Ritualen geführt. Das Tribunal sind nicht mehr die Inquisitoren, sondern die Medien. Statt der Hexenverbrennungen zelebriert man reuig und mit einer gehörigen Portion Autoaggression Lichterketten. Man verbrennt symbolisch die eigenen Sünden und fühlt sich gut dabei. Die Bösen sind bekanntlich uneinsichtig und kommen bei den Ritualen der Gutmeinenden gar nicht vor.
Die niederländische Zeitung De Volkskrant schreibt über die Deutschen und ihre Ultrarechten, was hierzulande nicht ausgesprochen wird: „Aber es gibt keine seriösen Versuche, dieses Phänomen zu analysieren. Man gibt sich mit einigen Beschwörungsformeln zufrieden.“ Angela Merkel brachte es nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen auf den Punkt: „Dreißig Prozent für die Extremisten.“ Das ist der Mainstream – die altbekannte Totalitarismus-Doktrin, die sich so orthodox-primitiv nur noch ostdeutsche Politiker auszusprechen trauen. Rot gleich Braun. Thälmann gleich Hitler. Gestapo gleich Stasi. PDS gleich NPD.
Die CDU und weite Teile der so genannten Volksparteien mit immer weniger Volk haben einen „Kampf gegen rechts“ nie geführt, weil niemand wusste, wer der Gegner war: die „Skinheads“, die Gewaltbereiten, die „Chaoten von links und rechts“ die NPD, die DVU; oder die „Freien Kameradschaften“, die Salonfaschisten, die die Junge Freiheit lesen; oder doch rechte „Think Tanks“ wie die Stiftung Weikersheim, Antisemiten in der CDU und auch anderswo?
Alle PolitikerInnen bekunden, sie wollten sich jetzt mit den „Rechtsextremisten“ noch mehr und immer öfter auseinander setzen. Nur: Hat man das bisher nicht schon getan? Die Spitzenkandidatin der Grünen in Sachsen, Antje Hermenau, spricht von einer „kulturellen Kampfansage“ gegen Neonazis. Entscheidet sich der politische Kampf also in der Kultur? Bob Marley gegen Frontalkraft? Udo Lindenberg gegen Frank Rennicke? Sollen jetzt wieder multikulturelle Straßenfeste gegen rechts helfen oder Klezmer-Musik gegen Judenhass?
Die Antwort ist einfach: Es geht nur um die Frage, wie die deutsche Nation aussehen soll – und wer dazugehört. Wie der Mainstream mit den Immigranten aller Generationen umgeht, zeigt sich am rechten Rand. Das Thema waren nie „die Ausländer“, sondern immer soziale Grenzen zwischen Einwanderern und „Ureinwohnern“.
Die Rechten schüren Sozialneid, spielen mit der rassistischen Karte und geben im Übrigen – das ist ohnehin ihre Leitidee – den Juden die Schuld für alles. „Neonazis“, das waren, vor allem in der Bebilderung einschlägiger Artikel, verhetzte Jugendliche, die Doofen, die „Gewaltbereiten“. Das stimmt eben nicht: Neonazis, das sind Otto Normalverbraucher. Das war schon immer so.
Politische Konzepte gegen Rassismus und Antisemitismus funktionieren bloß dann, wenn man weiß, wie diese Ideen in die Köpfe hineinkommen. Man muss also erklären können, warum Menschen Antisemiten geworden sind. Aber darüber will sich kaum jemand Gedanken machen. Und ein Konsens ist nicht möglich. Die CDU will ohnehin aus ihrem weltanschaulichen Bunker nicht heraus und die „Extremen“ bekämpfen. „Gegen rechts“ kann aber nur heißen: ein Konzept der deutschen Nation zu diskutieren, das die Realität der Einwanderungsgesellschaft nicht in Frage stellt, sondern sie als Konsens voraussetzt. Das Völkische, die vorgebliche Leitkultur, das Deutschnationale – auf den Müllhaufen damit! Wir sind nicht ein Volk, sondern eine Bevölkerung.
Hier genau ist der Scheidepunkt zwischen links und rechts. Von den Franzosen und Engländern lernen heißt siegen lernen: Deutscher Nationalität ist, wer dazugehören will und die demokratischen Regeln akzeptiert. Türkische Immigranten bestimmen, wie das Deutschland der Zukunft aussehen wird, gleichberechtigt mit den Sorben und Bayern.
Der Fraktionsvize der CDU Wolfgang Schäuble schrieb: „Wir schöpfen unsere Identität nicht aus dem Bekenntnis zu einer Idee, sondern aus der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk.“ Erst wenn diese völkischen Phrasen nicht mehr gesellschaftsfähig sind, hat die moderne Gesellschaft eine wirkliche Chance gegen die Rechte.
Der Osten wird so „normal“, wie es der Westen war und ist. Zum letzten Mal saß die NPD in Westdeutschland 1968 in den Landtagen, mit fast den gleichen Wahlergebnissen wie heute in Sachsen. Mit einem Unterschied: Der Anteil der Ewiggestrigen und Altnazis war damals erheblich größer. Die NPD als Partei wurde zeitweilig bedeutungslos, weil die Gesellschaft insgesamt einen Linksruck vollzog und die Sozialdemokratie relevante Teile der außerparlamentarischen Opposition an sich band.
Da sich Geschichte nicht wiederholt, kann man darauf nicht hoffen. Aber vielleicht schon überlegen, wie der „Kampf gegen rechts“ geführt werden soll, wenn die braunen Kameraden ein Drittel der Wähler erobert haben, wie der „Vlaams Blok“ in Antwerpen. Immerhin weiß man durch den „Aufstand der Anständigen“, dass diffuse Appelle, die das Problem nicht benennen, wenig helfen.
BURKHARD SCHRÖDER