: Die Geisterstadt am Potsdamer Platz
Wahre Ströme von Touristen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in den Büros am Potsdamer Platz weniger geschäftig zugeht. Mittlerweile stehen fast 100.000 Quadratmeter Bürofläche leer. Und das ist erst der Anfang
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Potsdamer Platz 1 – was für eine Adresse. Edler grauer Schweizer Granit, dunkler Marmor, und begleitet von poliertem Messing geht es hinein in das Restaurant im Fuß des roten Backsteinhochhauses, des neuen Wahrzeichens der neuen Mitte.
Drinnen sitzt man gut auf weichem Leder, hat gute Sicht und wird gesehen von den Passanten und touristischen Heerscharen, die über den Potsdamer und den benachbarten Leipziger Platz strömen. Nur, es serviert keiner mehr. Die Küche bleibt kalt. Seit Monaten steht der Edelladen am Potsdamer Platz 1 leer. Zu hoch waren die Mieten, zu wenig hat das Gewerbe abgeworfen, und zu altmodisch kam das Interieur daher.
Ein Einzelfall? Eher die Regel: Fast 100.000 Quadratmeter Büro-, Gewerbe- und Wohnfläche stehen am Potsdamer Platz derzeit leer – mit steigender Tendenz. Verlassen sind die violetten Architekturen am Landwehrkanal auf dem DaimlerChrysler-Areal. Leer stehen drei Viertel der roten „Park Kolonnaden“ entlang der Köthener Straße, nachdem Ver.di mit 650 Angestellten auszog. Vier der fünf Hochhäuser an der Lennéstraße sind ungenutzt. Hinter der banalen Fassade des hohen Delbrück-Hauses direkt am Potsdamer Platz rührt sich nichts.
Ein Gleiches geschieht in weiten Teilen des Beisheim-Centers: Außer dem Riz-Carlton-Hotel und dem „Marriott“ steht das luxuriöse Viertel weitgehend leer. Es entwickle sich zu einem „wirtschaftlichen Flop“, vermuten Immobilienmakler. Für die 13.000 Quadratmeter Bürofläche des im Januar eröffneten, 450 Millionen Euro teuren Gebäudekomplexes hätten sich noch keine Mieter gefunden. Und von den 50 Luxuswohnungen sei nur eine bewohnt.
Es kommt noch schlimmer für die neue Mitte. Sony-Music will mit 230 Mitarbeitern vom Potsdamer Platz nach München übersiedeln. Und wenn 2008 bis 2010 die eigene Zentrale der Bahn AG am Nordbahnhof bezugsfertig ist, wollen die 800 Mehdorn-Mitarbeiter den gläsernen Sony-Tower räumen.
Angesichts dieses Horrorszenarios fragten Springers BZ und Berliner Morgenpost aufgeregt: „Wird der Potsdamer Platz zur Geisterstadt?“
Immobilienexperten wie die Firma Jones Lang LaSalle oder Aengevelt diagnostizieren, dass die Berliner Flächen-Überkapazitäten (rund 1,4 Millionen Quadratmeter) nun auch so genannte Eins-a-Standorte hart treffen. Nur wer dort als Bauherr investiert habe und Eigentümer ist, wie Sony oder DaimlerChrysler (das sein Quartier mit Debis und anderen Service-Töchtern hauptsächlich selbst nutzt oder an potente Unternehmen vermietet hat), sei aus dem Schneider.
Für die anderen Vermieter bedeute die angespannte wirtschaftliche Lage jetzt eine Ungleichung, so Rolf Scheffler von Aengevelt. Es gebe am Potsdamer Platz zu viele Flächen für zu wenige Mieter. Die Hauptargumente der Abwanderer seien immer die gleichen: zu hohe Mieten, Flächenalternativen en masse und der Trend, statt Miete zu zahlen selbst zu bauen.
So hat Ver.di nach eigenen Angaben für die „Parkkolonnaden“ zuletzt 23.500 Euro pro Tag bezahlt. Die Miete war so hoch, dass sich die Gewerkschafter ihr eigenes Hauptquartier im Ostteil der Stadt bezogen. 18.000 leere Quadratmeter ließen sie zurück, Aussicht auf neue Mieter sieht der Vermarkter der Gebäude aktuell noch nicht.
Auch die Deutsche Bahn AG, die rund 1 Million Euro pro Monat für den Glastower zahlen soll, will wegen der Miete räumen. Wenn der Mietvertrag für den Sony-Tower auslaufe, so ihr Sprecher Werner Klingberg, werde man „aus Kostengründen“ den Ortswechsel ins Auge fassen.
Gehen also am Potsdamer Platz die Lichter aus, wenn Großprojekte wie der Sony-Tower, die Parkkolonnaden, das Delbrück-Hochhaus und das Beisheim-Center ausbluten sowie Teilleerstand in den anderen Gebäuden herrscht?
Der Leerstand von Büro- und Gewerberäumen, von Wohnungen und Appartements am Potsdamer Platz hat Dimensionen erreicht, die Immobilenmakler und Investoren als „problematisch“ bezeichnen.
Auf den Boom, sprich: von immer neuen leeren Fassaden bleibt dies vorerst noch ohne Einfluss. Und auch für manche Gehirne: Beisheim zum Beispiel glaubt an die Wende. „Das Konzept des Beisheim-Centers ist unverändert und planmäßig auf einem guten Entwicklungspfad“, sagte ein Unternehmenssprecher. Für die Büro-Mietflächen befänden sich Verhandlungen mit Interessenten „in einem fortgeschrittenen Stadium“ – was nach allem, aber eben nicht nach Mietabschluss klingt. Auch die jetzige Entlassung des Beisheim-Vertrauten Erwin Conradi, dem der Leerstand angerechnet wird, ist kein positives Signal.
„Der Platz ist und bleibt attraktiv, als Firmenstandort, als Touristenmagnet und Veranstaltungsort“, erklärt dagegen Sony-Planungsdirektor Jun Shimoyamada. Er meint vielleicht die eine positive Auswirkung, die Rückzug, Leerstand und Flaute am Potsdamer Platz haben: Niemals waren Flächen vor Ort so günstig wie zurzeit. Für unter 20 Euro pro Quadratmeter kann man Büros in der neuen Mitte haben.
Wenigstens das ist Rekord.