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Das Niedlichkeitsregime

Punkt, Punkt, Komma, Strich: fertig ist das Character-Gesicht. Unter dem Titel „Pictopia“ tagte ein Festival über Figurenwelten. Bei allem kulturwissenschaftlichen Ehrgeiz – ist das mehr als nur süß?

VON DOMINIKUS MÜLLER

Augen, Augen, Augen. Hinter jeder Ecke, auf jeder Wand. Überall Augen. Dazu noch ein rudimentärer Mund, fertig ist die Armee der niedlichen Kopffüßler, die gerade im Rahmen der „Pictopia“, dem Festival für „Character Design“, das Haus der Kulturen der Welt in Beschlag genommen haben. Character Design? Die beiden Organisatoren Peter Thaler und Lars Denicke beschäftigen sich seit 1999 unter dem Namen „Pictoplasma“ mit diesem Thema. Sie haben ihre Faszination seit 2004 immer wieder in unterschiedliche Veranstaltungen gegossen und bündeln unter diesem Schlagwort alles, was als „reduzierte Figur“ durchgeht. Also alles, was abstrahiert ist, aber dennoch klar zumindest als „Gesicht“ erkennbar ist – das Spektrum reicht so potenziell von Spielzeugpuppen über Comichelden bis zur sprechenden Büroklammer aus dem Textverarbeitungsprogramm.

Hier geht erst mal alles, solange es sich aus nicht mehr als Punkt, Punkt, Komma, Strich zusammensetzt. Und doch ist die Gemengelage, die derzeit im Haus der Kulturen der Welt präsentiert wird, ein klein wenig spezifischer. Denn auch wenn Piktogramme, Comics und Animationskultur so etwas wie die Wurzeln des Character Designs ausmachen, so lässt sich das hier Gezeigte vielleicht am ehesten an Street Art und nerdige Internetkultur anschließen. Das kommt eher als hippes, verspieltes Feierabendprojekt von Heerscharen von Grafikdesignern daher denn in Form strenger grafischer Leitmotive oder aufwendiger Studioproduktionen.

Die Figuren, die im Haus der Kulturen der Welt nun in einer Ausstellung präsentiert werden, erfüllen folgerichtig auch weder die Funktion von reduzierter Gebrauchsgrafik im Sinne eines allgemeinverständlichen Wegweisers, noch erzählen sie eine Geschichte wie im Comic oder Animationsfilm. Sie stehen einfach nur der labyrinthischen Ausstellungsarchitektur herum, die an die rudimentären Vektorräume früher Computer-Games erinnert, blinzeln den Besucher an und sehen dabei unglaublich niedlich aus, geradezu schmerzhaft niedlich. Die obligatorischen Augen finden sich bei Tim Biskup im schweren antiquarischen Bilderrahmen wieder oder werden von Olaf Breuning auf riesige Steine am Strand appliziert oder gleich auf Körperteile gemalt. Mal bedient man sich der knallbunten Sprache von Graffiti und Street Art wie bei Ben Frost, mal erinnert Gary Basemans Beitrag an den Outsider-Künstler Henry Drager. Um die nächste Ecke herrscht dann wieder die unglaublich slicke Ästhetik digitaler hergestellter Körper vor oder werden die süßen Kleinen von Aaron Stewart als imaginierte Spielgefährten in alte, braunstichige 70er-Jahre Kinderfotos kopiert.

Egal, ob das lieblich, nostalgisch, ironisch, versaut oder gar blutig daherkommt, über allem liegt eine Schicht Niedlichkeit. Man kommt nicht umhin, sich zu fragen, was man mit diesen Artefakten aus den Weiten des Internets und den letzten Winkeln der Grafiker-Festplatte anfangen soll, die einem hier in größtenteils auratischer Beleuchtung wie ethnografische Fundstücke präsentiert werden.

„Pictopia“ hat zur Beantwortung dieser Frage schnell den passenden kulturwissenschaftlichen Überbau parat. Es soll hier – ganz rudimentär gesprochen –um die Mechanismen von Kommunikation und Kontaktaufnahme gehen, um das Vermitteln von Emotionen, um Pathos und Empathie, sowie um das Verhältnis von dreidimensionalen menschlichen Körpern und zweidimensionalen abstrahierten Ebenbildern. Auf dem Spiel steht weiterhin die Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines „grafischen Esperantos“, wie es die beiden Veranstalter nennen – und analog dazu die Befragung der kulturspezifischen Unterschiede im Design von kleinen, niedlichen Characters. So weit, so gut.

In der Ausstellung zeigt sich davon aber nicht so viel, hier erschlägt der Niedlichkeitsterror jeglichen kritischen Ansatz. Aber auch der dreitägige Kongress, den Thaler und Denicke diesmal parallel gestemmt haben, bleibt die Einlösung dieser hochgesteckten Themen leider schuldig. Hier darf etwa AJ Fosik, der sich in der Ausstellung für eine Reihe von aus kleinen Holzplaketten zusammengesetzten totemartigen Wandobjekten verantwortlich zeichnet, vor der versammelten Mannschaft mit quietschebunten Special-Editions-Sneakern, Backpack und Iphone vorführen, wie er arbeitet. Ein Werkstattgespräch sozusagen – das hier allerdings via Powerpoint aufbereitet wird und wie eine knallharte Business-Präsentation daherkommt.

Und wenn dann in der anschließenden Talkrunde auf dem Symposium zwischen einem Vortrag über „Transmedia Story Telling“ und einem akademischen Ausflug in die Welt japanischer Mangas und Animes anhand von Julia Kristevas „Abjekt“-Konzept die Erfolgsstory von „Hello Kitty“ inklusive Analysten-Performance-Charts erläutert wird, verdichtet sich der Eindruck: Pictopia ist, allem kulturwissenschaftlichen Ehrgeiz zum Trotz, vor allem eins – ein hybrides Branchentreffen an der Schnittstelle von Street Art und Brand-Design, von Grafik, Animation und Gameentwicklung. Hier gehen Nerdtum und Subkultur, großes Geschäft und Academia-Überbau seltsame Allianzen ein, es reichen sich Street-Credibility und global agierendes Business die Hand. Möglich gemacht wird das durch die inhaltliche Leere – oder positiv formuliert: durch die radikale Offenheit – jener Characters, um die sich hier alles dreht. Sie verweisen auf nichts außer sich selbst und machen in der Tat nicht viel mehr, als zu „kommunizieren“. Was, das ist dann einerlei. Dabei hätte es gerade hier angefangen, spannend zu werden.

„Pictopia – Festival neuer Figurenwelten.“ Ausstellungen, Filmprogramme,Konferenz, Symposium. Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10. Ausstellung noch bis 3. Mai

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