: Des Rektors neues Zimmer
Seeluft und Sonnenuntergänge: 800 Bremer Kunst-Studenten sind in den Hafen umgezogen. Im Speicher XI stehen der Hochschule für Künste 12.000 Quadratmeter zur Verfügung. Ob das reicht?
taz ■ Fischmehl. Der Geruch beißt sofort in der Nase, kommt von der Fabrik schräg gegenüber. An der Rolandmühle liegt die „Zuara“ mit ihrem massigen roten Bauch vor Anker. Die Mastflagge des Frachtschiffs weht im Wind. Möwen kreischen durch die Nachmittagsluft.
„Es ist halt Hafenflair“, sagt Peter Rautmann, Rektor der Hochschule für Künste beim Blick aus dem Fenster. Die Hochschule zieht um, in eines der größten Gebäude in Bremen: Speicher XI ist der 396 Meter lange Inbegriff der urbanen Nutzung des Hafenreviers. Nach zweijähriger Bauzeit werden Oktober 2003 knapp 800 Studierenden die neun Trakte des Speichers bevölkern.
Für knapp 14 Millonen Euro ließ Klaus Hübotter das 1912 erbaute Backsteingebäude sanieren, in dem früher Baumwolle, Kaffee und Tabak gelagert wurden. Nun ziehen die StudentInnen der Bildenden Künste hier ein - erstmals sind sie dann unter einem Dach. Alleine die MusikerInnen bleiben draußen – in der Dechanatstraße. Trotzdem freut sich Rektor Rautmann auf „Synergieeffekte“ im 12.000 Quadratmeter-Gebäude, auf „Kommunikation zwischen den Studiengängen“, auf Verbindung verschiedener Medien durch räumliche Nähe. So soll kreativeres Arbeiten ermöglicht werden. Bereits seit dem 11. August wird das Gebäude bezogen, auch die Uni-Verwaltung sitzt bereits in ihren neuen Gemächern: Rektor Rautmann blickt noch etwas unsicher durch das Zimmer. Sein neues Zimmer! Überall stehen Umzugskartons, prall gefüllt mit Akten. Gemälde liegen eingepackt auf dem Boden. Möbel: erst spärlich vorhanden. Bestellt seien sie, „kein Holz, sondern Metall“, zurückhaltend solle die Einrichtung sein, dem Industriecharakter Rechnung tragend. An seinem Zimmer gefallen Rautmann besonders die großen Rundbogenfenster: frühere Ladeluken, jetzt kleine Balkone. „Herrliche Sonnenuntergänge gibt es hier!“
Wer das Rektorat verlässt, steht sofort auf dem breiten, holzgedielten Flur. Und wundert sich: Personen am anderen Ende des Ganges sind nur noch kleine Pünktchen, 210 Meter entfernt. Die Flurlänge bewältigten Verwaltungsangestellte bereits mit Rollern, weiß Ernst-Dieter Röse, Technikleiter der Hochschule. Er läuft die Gänge ab und wartet an diesem Nachmittag auf seine Computer, die die Umzugsfirma längst liefern wollte. Der Transport von technischem Zubehör ins Hafenrevier geht nicht ohne Fehler über die Bühne: „Jetzt fängt die große Sucherei an“, so Gießerei-Werkstattleiter Bernd Hentschel über seine nächste Aufgabe. „Mir wurden Sachen angeliefert, da hab ich nicht die leiseste Ahnung, was das ist.“
Werkstattleiter Hentschel geht mit gemischten Gefühlen ins neue Semester: Früher war er Am Wandrahm untergebracht, im Keller. Seine „Kellerneurose“ könne er nun vielleicht überwinden, hier im lichtdurchtränkten Erdgeschoss, in seiner knapp sieben Meter hohen, weißgepinselten Werkstatt. „Aber mir fehlt hier Stauraum, den ich früher hatte. Für Skulpturen“, klagt Hentschel wie viele seiner KollegInnen, deren künftige Arbeitsstätten noch unfertig und verwüstet aussehen.
Die größte Kritik am Speicher XI kommt von den StudentInnen selbst: Das große 12.000-Quadratmeter-Areal sei nicht groß genug für Maler- und BildhauerInnen. „Wenn wir jetzt einen Baumstamm bearbeiten wollen, passen nur zwei Leute in das Atelier. Wir müssen aber zu acht dort arbeiten“, klagt Bildhauerei-Studentin Christiane Osann. Auch der Asta der Hochschule sagt, das Gebäude sei „zu klein“.
Das Problem: Beim Speicher-Umbau wurden geltende Richtlinien umgesetzt, die 18 Quadratmeter pro MalerIn oder BildhauerIn vorschreiben. „Das Soll wurde sehr gut erfüllt“, sagt Pressesprecherin Imke Lode. Frühere Räumlichkeiten wie die Ateliers am Neustadt-Güterbahnhof, in der Alten Wahnstraße oder in der Dechannatsstraße „sollten nur zweckmäßig und preiswert sein“, die Richtlinien hätten „keine Rolle gespielt“. „Übererfüllt“ habe man dort das Soll.
Rektor Rautmann räumt ein, dass im Speicher die Räumlichkeiten für die freien Künste an Grenzen stoßen könnten. Ein großzügiger Freiplatz hinter dem Speicher XI könne als Arbeitsstätte für die raumintensiveren Studiengänge benutzt werden. Und im Winter? Eventuell sollen Container aufgestellt oder eine Überdachung installiert werden. „Wir sind noch in der Diskussion“, sagt Rautmann. Uni-Dekan Peter Schäfer beruhigt: „Erst mal sollten wir einziehen, und nicht schon wieder ausziehen“. Unisono fordern Uni-Leitung und StudentInnenrat: Erst mal abwarten! Jan Grundmann