: Jeepneys sind Fluch und Segen
Als die US-Truppen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges abzogen, blieben ihre Militärjeeps für den öffentlichen Transport zurück. Heute versucht ein findiger Unternehmer mit neuen Komfortjeeps auch Touristen durch Manila zu kutschieren
VON HILJA MÜLLER
Wenn Cesar Galvez den Motor seines Jeepneys startet, huscht ein zufriedenes Lächeln über sein Gesicht. „Das ist der beste Jeepney, den ich je gefahren habe. Er ist wirklich ein King of the road“, sagt der 51-Jährige. Seit 1979 lenkt Galvez jene bunt bemalten, überlangen Vehikel durch die philippinische Hauptstadt Manila, die in keinem Reiseführer über die Inselgruppe unerwähnt bleiben. Die Philippinen ohne Jeepneys: unvorstellbar. Sie sind das billigste Transportmittel auf vier Rädern und der Motor des öffentlichen Nahverkehrs.
Die Erfolgsgeschichte beginnt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Als die US-Truppen abzogen und den Inselstaat in die Unabhängigkeit entließen, blieben viele Militärjeeps zurück. Die robusten Geländefahrzeuge waren wie geschaffen für die schlechten Straßen des asiatischen Landes. Rasch erkannten findige Geschäftsleute ihren Wert als Taxis für Menschen und Güter. Es galt nur einen Mangel auszugleichen: Die Jeeps waren zu klein. Mit landestypischem Improvisationstalent wurde das Problem gelöst. Fahrgestell und Aufbauten wurden verlängert, an jeder Seite des Fahrzeugs bieten seither lange Bänke regulär acht Personen Platz. Bis heute hat sich am Design nichts geändert, auch an der Technik wurde nicht gefeilt. Geschätzte 180.000 Jeepneys hüpfen über die löchrigen Straßen des Landes, allein 60.000 kämpfen sich durch die notorisch verstopften Verkehrsadern der Hauptstadt Manila.
Kein Zweifel: Jeepneys sind ein Hingucker. Es gibt wohl keinen, an dem sich nicht ein Künstler versucht hat. Auf dem einen leuchtet ein kitschiger Sonnenuntergang, ein anderer imponiert durch Feuer speiende Drachen. Von vielen blickt Jesus verzeihend ins Verkehrsgetümmel der Millionen-Metropole. Spiegel, Hupen und Wimpel putzen die Nutzfahrzeuge ebenso heraus wie silberglänzende Mustangs auf den lang gestreckten Kühlerhauben.
Jeepneys sind Ausdruck des philippinischen Lebensgefühls: laut, bunt und chaotisch. Sie halten auf Zuruf, nehmen auch Schweine oder Hühner an Bord. Die Filipinos verbindet eine Hassliebe mit ihren Jeepneys. „Wir können nicht ohne sie leben, aber sie machen uns das Leben auch schwer“, resümiert eine Hausangestellte, die täglich etwa drei Stunden durch Manila pendelt. In der Tat gibt es über Jeepneys einiges Negatives zu sagen. Die wegen der Überfüllung und des unfreiwilligen Kontakts mit dem Sitznachbarn auch Jeep-Knees genannten Gefährte verfügen über keinerlei Komfort. Klimaanlage? Viel zu teuer. Fenster? Gehen nur kaputt. Sicherheitsgurte? Werden geklaut. Als Gipfel des Luxus gelten kleine Ventilatoren, die die stickige Tropenluft umquirlen.
Eine Jeepney-Fahrt über Manilas Hauptverkehrsader Edsa zur Rush Hour ist so etwas wie die Höchststrafe. Touristen findet man in dem Massentransportmittel daher so gut wie nie. Vor allem aber sind Jeepneys gewaltige Luftverschmutzer. Die Motoren des Nationalsymbols sind ausrangierte Dieselmaschinen aus Japan, die von europäischen Umweltstandards weit entfernt sind. Da auch der Treibstoff oft minderwertig oder gepantscht ist, sind Jeepney-Abgase eine üble Hinterlassenschaft, die die grau-braune Smogwolke über Manila weiter wachsen lässt. Am meisten leiden darunter die Jeepney-Fahrer selbst: Ihre Berufsgruppe weist landesweit die höchste Rate an Lungenkrankheiten aus. Einst gefeiert als Helden der Straße, sind sie heute verrufen als waghalsige Hasardeure, die durch riskante Fahrmanöver nicht nur ihr eigenes Leben gefährden. Trotz der Gesundheitsgefahren und 14 Stunden am Steuer verdienen manche Fahrer pro Tag nicht einmal 300 Peso, keine sechs Euro.
Orlando Marquez will all das ändern. Der kleine Mann mit dem ergrauenden Haar hat sich vorgenommen, das Jeepney-Gewerbe zu revolutionieren. „Meine Jeepneys werden in fünf Jahren überall in Manila fahren“, träumt der Präsident der philippinischen Erfinder-Vereinigung. Das sind schöne Aussichten, denn Marquez’ nagelneue Jeepneys sind nicht nur noch größer, schöner und bunter, sondern sie verfügen über eine Klimaanlage und stoßen weniger schädliche Abgase aus. Derzeit hat Marquez fünf seiner Jumbo-Jeepneys, die bis zu 25 Passagiere fassen, in Manilas Altstadt Intramuros stationiert. Der beste Standort, um auch Touristen als Fahrgäste zu gewinnen. Mit Erfolg: „Genau wie im Reiseführer, freut sich eine Amerikanerin.“ Eben nicht, Marquez’ Jeepneys sind besser. Sie haben Fenster mit Gardinen, komfortable Zweier-Sitzbänke, Radio und eine Klimaanlage.
Eine Fahrt in Manilas neuem „King of the road“ lohnt sich allemal: Die Tour führt durch die engen Straßen der Altstadt, vorbei am Rizal-Park, der grünen Lunge der Megastadt. Weiter geht es an der gerne auch Sunset Boulevard genannten Uferstraße und dann vorbei an der pompösen US-Botschaft, dem sehenswerten Kindermuseum und dem eleganten Yacht-Club. Kostenpunkt für die rund einstündige Fahrt: etwa 35 Cent. „Für Ausländer ist das natürlich sehr wenig, deswegen fahren sie gerne mit mir“, freut sich Fahrer Galvez. Auch er profitiert von den im Vergleich zu regulären Jeepneys etwas höheren Fahrpreisen, sein Einkommen liegt bei 800 Pesos am Tag, rund 14 Euro. Orlando Marquez ist sich ganz sicher: „Mein Jumbo ist das Konzept der Zukunft.“
Bald würden auch seine Landsleute bereit sein, den Preis für eine Fahrt mit seinem Jeepney auszugeben. „Es gibt doch genügend Angestellte, die im Taxi pendeln. Das sind alles meine potenziellen Kunden, ich muss nur mehr Strecken bedienen.“ Doch wie so oft auf den Philippinen scheint eine Geschäftsidee am Geldmangel zu scheitern. Marquez’ Riesen-Jeepneys kosten in der Produktion rund 14.000 Euro pro Stück, fünf konnte er bauen lassen. Nun hofft Marquez auf die Regierung. „Ich will Arbeitsstellen schaffen und brauche dafür günstige Kredite“, appelliert er an die Administration. Vielleicht wird er von der Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo ja erhört. Schließlich hat sie gerade 6 bis 10 Millionen neue Arbeitsplätze versprochen. Zudem lehrte die 57-Jährige früher als Professorin für Ökonomie Marquez das Geschäftemachen und ist die Patentante eines seiner Sprösslinge. Und so etwas verpflichtet auf den Philippinen.
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