: Ohne sichere Distanz
Das verkörpern, was man aus dem wahren Leben kennt: zwei Filme mit Anna Thomson im B-Movie
von Eckhard Haschen
War das nicht Anna Thomson da gerade, fragte ich einmal während der Berlinale, wo sie mit einem Film vertreten war, einen Kollegen. Eine Frau wie sie übersieht man nicht so leicht – auch dann nicht, wenn man sie nur noch so aus den Augenwinkeln heraus erblickt, und sie selber in dem Moment auch gar nicht darauf aus war, die Blicke der Menschen auf sich zu ziehen. Dies gilt vor allem dann, wenn man sie kurz zuvor erst als fallende Frau auf der Leinwand gesehen hat – in einem Film wie Sue oder dem ebenfalls von Regisseur Amos Kollek inszenierten Fiona, den das B-Movie nun als ersten von zwei Filmen mit ihr zeigt.
Vom Typus her ist Anna Thomson wie Brigitte Bardot oder Claudia Schiffer eine classical blonde. Nur dass sie unendlich viel fragiler ist als diese. Wenn sie auf der Leinwand erscheint, kann man sich des Gedankens einfach nicht erwehren, dass sie das, was sie in ihren Rollen verkörpert, auch aus dem so genannten wirklichen Leben nur allzu gut kennt. Sie ist das genaue Gegenteil einer Meryl Streep, bei der – bei aller Brillanz – immer eine sichere Distanz zwischen Schauspielerin und Rolle bestehen bleibt. Und so liefert sich Thomson dem kalten Auge der Kamera weit mehr aus als irgendeine ihrer Kolleginnen, scheint ihr Innerstes dem Blick des Regisseurs und damit des Zuschauers bereitwillig preiszugeben. Gar nicht auszudenken, was wohl in den Händen eines Regie-Despoten wie Lars von Trier mit ihr geschähe.
Ihren Durchbruch schaffte die jetzt 46-Jährige nach vielen Kleinst- (Heavens Gate, Something Wild) und Nebenrollen (Unforgiven, True Romance, I Shot Andy Warhol) 1997 mit Sue, mit dem auch Kollek reüssierte. Hatte sie sich einem schon da als allein in New York lebende Mittdreißigerin, die dem sicheren Abgrund entgegenstrebt, weil sie einfach keine Hilfe annehmen kann, tief ins Gedächtnis eingegraben, fragte man sich, was der israelische Regisseur wohl ein Jahr später in Fiona noch mit ihr anstellen wolle.
Mit noch bescheideneren Mitteln und sehr viel Handkamera wurde es eine ebenso bestürzende Studie in moderner metropolitaner Haltlosigkeit: Im Alter von sechs Monaten wurde Fiona von ihrer Mutter auf der Straße ausgesetzt, hat bei ihren Pflegeeltern dann sehr viel Gewalt erdulden müssen und ist schließlich zu einer drogenabhängigen Prostituierten geworden.
Nichts ahnend begegnet sie eines Tages in Anita (Felicia Maguire), die im selben New Yorker Viertel ebenfalls als Prostituierte (und nebenbei als Friseurin) arbeitet, ihrer leiblichen Mutter. Diese erkennt Fiona – gerade haben sich die beiden auf eine wilde Affäre miteinander eingelassen – an einer Halskette. Mit ihren manchmal geradezu entrückt erscheinenden Gesten geht Anna Thomson in diesem Film fast noch weiter als in Sue, um die trübe Lebensperspektive einer Crack-Süchtigen in der Großstadt zwischen kurzen Momenten der Hoffnung und unvermittelten Abstürzen jederzeit spürbar zu machen.
Erst in Fast Food Fast Women gönnte Kollek seiner Darstellerin vor drei Jahren, diesmal als Kellnerin, ein happy ending, bevor er sie in Bridget, der hier wohl nicht mehr anlaufen wird, wieder abstürzen ließ. In Kolleks neuem Film Nowhere to Go But Up spielt Thomson nur noch einem Nebenrolle.
Aber schön, dass sich auch der sehr produktive François Ozon der unvergleichlichen Anna Thomson angenommen hat, in seiner Verfilmung des frühen Fassbinder-Stücks Tropfen auf heiße Steine, der ebenfalls im B-Movie läuft. Und siehe da: Anna Thomson versteht es auch in einer eher kleinen Rolle in einem ganz und gar künstlichen Vier-Personen-Stück, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
Fiona (Vorfilm: I will survive), morgen, 20.30 und 22.30 Uhr, Sonntag, 20.30 Uhr; Tropfen auf heiße Steine (Vorfilm: Jesus, que ma joie de meure), 30.10., 20.30 Uhr, 1.11., 20.30 und 22.30 Uhr, 2.11., 20.30 Uhr, B-Movie