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Archiv-Artikel

Alles im Visier, aber nichts mehr im Blick

Übersteuert, furios formuliert, raffiniert: Henning Ahrens offeriert in „Langsamer Walzer“ ausgesuchten Unsinn

Es ist Krieg in Henning Ahrens’ zweitem Roman „Langsamer Walzer“, aber keinen verdrießt das wirklich. In unbestimmter Zukunft kämpft ein sehr vereintes Europa gegen die Vereinigten Staaten von Amerika. Eine zerstörte und eigentlich evakuierte Stadt ist Schauplatz für einige illegal dagebliebene schräge Gestalten. Da gibt es zum Beispiel Commander Coeursledge, der ein in eine Barbie verliebter Räuberhauptmann ist; oder es gibt Peter und Paul, ein Reporterbrüderpaar; oder sieben Greise, die Leon, Max, Anna, Dennis, Sophie, Marie, Lena heißen. Schlammfressende Barbies, deren Tier-Mensch-Status ungeklärt ist, ergänzen das heiter-apokalyptische Ambiente. Es ist Winter, und es schneit auf Ruinen.

Nichts ist ernst zu nehmen in diesem Roman. Zwar hungern und frieren die sieben Greise, reimen dabei aber heiter weiter. Ein groß angelegter Angriff, der „Sturm auf die Mitte“, steht bevor, allein: Es sind nur noch fünf kartenspielende Feinde übrig. Zwar schlagen Bomben ein und zerstören und töten, aber wenn der Erzähler will, fährt die Seele dann in ironischen Loopings aus dem Körper und landet schließlich in einem Rucksack, um bei Gelegenheit reinkarniert zu werden.

Der Aberwitz in diesem Roman von Hennig Ahrens ist bestechend, sein Umgang mit Sprache staunenswert. Wie schön, dass diesem Autor, der auch Lyriker ist, anderes zur Verfügung steht als der übliche parataktische Betroffenheitssound. Henning Ahrens beweist, wie übrigens auch schon in seinem ersten Roman „Lauf Jäger lauf“, eine furiose Formulierlust, eine enorme Sorgfalt im Arrangement jedes einzelnen Satzes und ein großes Gespür für launige Absurditäten.

Gewitzt spielt er mit den Erzählebenen, indem er zu Anfang jedes Kapitels den Erzähler vom Ich ins Er schlüpfen lässt, und überhaupt ist er ohne Ende selbstbezüglich: Betont die Kulissenhaftigkeit des „Schauplatzes“, die Figurenhaftigkeit der Figuren, die als Puppen dem Erzähler in die Hand gegeben werden, die wissen, dass sie zum „Kern der Handlung“ vorzudringen haben und sich fragen, wie sie überhaupt „auf diese Seiten geraten“ sind; ironisiert die Allmacht des auktorialen Erzählers nach der Devise „und an dieser Stelle wollen wir die beiden allein lassen, denn alles andere wäre unschicklich“. Und zitiert außerdem in einer weit ausgreifenden Geste alles in seinen Text hinein: Werbung, Comic, Bibel, Märchen, Literatur.

Das alles ist von ausgesuchtem Raffinement – und ist doch letztlich genauso ausgesuchter Nonsens. Freilich ist auch dieser dem Text hochbewusst. Sinn- und Sinnlosigkeitschiffren flankieren den frei flottierenden Un-Sinn der „Handlung“: Allein schon der viele Schnee, das Weiß, ein Bild für das Nichts; dagegen der Rucksack, der „alles enthält“; das ominöse, vielleicht erlösende schwarze Schiff. Figuren, die „moralischen Mehrwert“ reklamieren oder im Gegenteil betonen, „dass kein Weg kausal ist“. Einmal fragt jemand: „Wozu … das Ganze?“. Der vielsagende Kommentar des Erzählers: „Eine gute, ja vielleicht die entscheidende Frage.“ Die Antwort von Figur B lautet, man habe noch immer keinen Auftrag. „Bisher soll das Ganze nur die Spannung steigern.“

Nur, die Spannung wird nicht gesteigert durch so viel hohldrehende Ironie. Auf die Dauer ist das ziemlich ermüdend. Was in den einzelnen Sätzen und den einzelnen Szenen gut funktioniert, trägt nicht über die Strecke eines Romans, zumal die Pointen in ihrer Selbstverliebtheit harmlos sind, der apokalyptischen Kulisse zum Trotz von fideler Gemütlichkeit.

Der Text ist hoffnungslos übersteuert und kreist doch um nichts – aber leider nicht so, dass dabei sinnfällig das Nichts umkreist würde. Diese Ironie ist so umfassend wie richtungslos, sie nimmt alles ins Visier und hat gar nichts mehr im Blick, eine einzige Uneigentlichkeit. Und damit: eine aufwändige Unerheblichkeit. MAJA RETTIG

Henning Ahrens: „Langsamer Walzer“. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2004. 318 Seiten, 18,90 Euro