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Archiv-Artikel

Denkmal für Bachramow

Binnen weniger Tage gastieren diverse ausländische Fußballteams in Aserbaidschan, und auch Fifa-Chef Blatter schaut vorbei. Das 0:1 in der WM-Qualifikation gegen England trübt die Stimmung wenig

Es war die große Fußballwelt in die Ölstadt Baku gekommen

AUS BAKU INGO PETZ

Vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen England ehrten die Offiziellen des Aserbaidschanischen Fußballverbandes ihren berühmtesten Fußballer. Vor dem „Republikanischen Stadion“ in der Hauptstadt Baku wurde ein bronzenes Denkmal Tofik Bachramows enthüllt. Nach ihm ist auch das Stadion benannt. Wenn man weiß, dass Bachramow eigentlich Schiedsrichter war, der in der Funktion des Linienrichters 1966 im WM-Finale das Wembley-Tor hinter der Linie gesehen hatte und damit weltberühmt geworden war, könnte man vermuten, die aserbaidschanische Fußballkultur sei fortschrittlicher als angenommen. Denn welcher westliche Schiedsrichter kommt zu solchen Ehren? Viel interessanter war aber, dass die Zeremonie im Beisein von Fifa-Chef Sepp Blatter geschah, und der hatte dazu noch Michel Platini und den Uefa-Vize Senes Ärzik mitgebracht. Es war also die große Fußballwelt in die Ölstadt gekommen, auch um ein von Uefa und Fifa gefördertes Fußballzentrum zu eröffnen. „Aserbaidschan ist auf die internationale Fußballbühne zurückgekehrt, und heute erwarten wir von Ihrem Land erfolgreichen Fußball“, hatte Blatter gesagt.

So viel Fußballaufmerksamkeit wie in der vergangenen Woche hatte das seit 1991 unabhängige Land wohl noch nie bekommen. Zuerst die U 21 der Deutschen, dann die Nordiren, die U 21 der Engländer und schließlich Beckhams England. Der Kapitän war allerdings nach seiner absichtlich verschuldeten zweiten gelben Karte im Spiel gegen Wales und wegen seiner beiden gebrochenen Rippen zu Hause geblieben. Dennoch: Baku probte den Einzug des Fußballs als Popkultur. Die Zeitungen hatten dem „historischen Spiel“ seit Tagen riesige Artikel gewidmet, in denen jeder Schritt der Stars akribisch beschrieben wurde. Die hiesigen Journalisten wunderten sich nur, dass Owen & Co. relativ stumm und reserviert blieben, und mussten lernen, dass der „große Fußball“ oft ein arroganter ist.

Der Trainer der Engländer, Sven-Göran Eriksson, dessen elegante Anzüge oft für Erwähnung bei den Journalisten gesorgt hatten, war dann nach dem Spiel auch gleich verschwunden, ohne die Pressekonferenz zu besuchen. Dort saß der Trainer der Aserbaidschaner allein und erklärte, was man als vermeintlicher Fußballzwerg nach einer 0:1-Niederlage gegen England nur sagen kann. „Aserbaidschan hat gezeigt, dass es auch vor großen Mannschaften keine Angst zu haben braucht. Zudem haben wir ganz ordentlich Fußball gespielt.“

Carlos Alberto (60) ist ein gewaltiger Mann mit einer durchschlagenden Stimme. Manchmal gleichen seine Auftritte kleinen Operninszenierungen, wie nach dem Spiel gegen Nordirland, als er sich in einer langen Tirade über das Spiel der Iren beschwert hatte: „Die sollen doch lieber Volleyball oder Basketball spielen.“ Carlos Alberto war 1970 Kapitän der brasilianischen Weltmeistermannschaft, seit Februar trainiert er Aserbaidschan. Allerdings nur mit mäßigem Erfolg, wenn man die Punkte zählt. In der Gruppe D der WM-Qualifikation holte er bisher zwei Unentschieden und belegt mit Aserbaidschan vor Nordirland den vorletzten Platz. „Es liegt noch viel Arbeit vor uns, aber wir sind auf einem guten Weg“, sagt er immer wieder.

Der „große“ Erfolg blieb für Aserbaidschan noch aus. Die Engländer hatten auch ohne Beckham kaum Probleme gegen den sehr defensiv eingestellten Gegner. Die in der Ukraine, in Russland oder im Heimatland spielenden Aserbaidschaner zeigten sich zwar kampfstark, konnten der Geschlossenheit und dem Passspiel der Engländer, für die der zuletzt viel gescholtene Michael Owen das Siegtor (22.) erzielte, aber kaum etwas entgegen setzen. So war es ein zu keiner Zeit gefährdeter Pflichtsieg, der, wie ein Reporter der BBC in seinen Laptop hackte, „keinen Grund zu tief gehender Kritik geben kann. Es wird nun Zeit, nach Höherem zu greifen“. Die Zuschauer feierten dafür jeden verlorenen Zweikampf des Wunderkindes Wayne Rooney mit tosendem Applaus.

Viel mehr als mit dem Ball hatten die Teams mit den Bedingungen zu kämpfen. Der eiskalte Wind stürmte mit 70 Kilometern pro Stunde durch das nur halb gefüllte Stadion. Es regnete aus Kübeln. 5.000 englische Fans froren in der Nordkurve, darunter viele Mitarbeiter der großen Firmen, die im Kaspischen Meer Öl fördern. Die Karten hatten auch deshalb bis zu 50 Euro gekostet, was ungefähr dem halben Monatslohn eines Aserbaidschaners entspricht. Dennoch war die Stimmung großartig. Ein englischer Radioreporter: „Solch ein Spiel habe ich noch nie erlebt.“ Vor dem Stadion feierten tausende Aseris ihr Land, Autokorsos schoben sich hupend durch den zähen Verkehr. Es kam zu Verbrüderungsszenen. Spezialeinheiten, die das Stadion sicherten, standen vor wärmenden Lagerfeuern, während das Stadion tobte. Und es war ein seltsam komischer Anblick, als die Soldaten zu orientalischen Klängen im Laufschritt ihre Plätze im Stadion einnahmen, während der Stadionsprecher nicht müde wurde zu schreien: „Aserbaidschaaaan! Aserbaidschaaaaan!“

Das Land feierte seine Hoffnung, irgendwann mal einen der Großen schlagen zu können. So war es dann auch ein Fan, der den schönsten Satz des Abends sagte: „Vor zehn Jahren haben wir gegen Frankreich noch 0:10 verloren. Heute haben wir nur 0:1 verloren. Das ist ein Erfolg. Und es wird die Zeit kommen, dass wir einem Fußballer ein Denkmal setzen werden und nicht nur einem Schiedsrichter.“