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Archiv-Artikel

Maßgeschneidert für Karsai

Afghanistans Entwurf für die neue Verfassung sieht als künftige Staatsform eine islamische Republik mit einem starken Präsidenten vor und enthält viele schwammige Formulierungen. Kritik von Seiten der Demokraten und Islamisten

aus Kabul JAN HELLER

Mit 64 Tagen Verspätung ist gestern in Kabul dem früheren afghanischen König Mohammed Sahir Schah der Entwurf der neuen Verfassung seines Landes übergeben worden. Bis tief in die Nacht war noch um Formulierungen gerungen worden, bis Interimspräsident Hamid Karsai seine Unterschrift unter das Dokument setzte. Der Exmonarch drückte in einer kurzen, betont zurückhaltenden Rede die Hoffnung aus, dass „jene Werte, die den Wohlstand der Nation gewährleisten“, im Entwurf enthalten seien: „die islamischen und die demokratischen Werte“.

Auf die Verfassungs-Loja-Dschirga selbst wird sich die verspätete Veröffentlichung nicht auswirken. Sie soll am 10. Dezember in Kabul beginnen. „Islamische Republik Afghanistan“ soll das Land künftig heißen, so jedenfalls steht es im Entwurf. Vorausgesetzt, die Loja Dschirga mit diesmal 500 Mitgliedern – darunter mindestens 95 Frauen, weitere Mitglieder können durch Direktwahl dazukommen – stimmt zu. Doch das bleibt abzuwarten. Obwohl der von einer 36-köpfigen Kommission ausgearbeitete Text bis vorgestern geheim gehalten wurde, verärgerte er bereits im Vorfeld zahlreiche Bevölkerungsgruppen.

Die vor allem unter den Paschtunen im Süden stark vertretenen Anhänger der Monarchie lehnen eine „islamische Republik“ ab. Vertreter der Demokratiebewegung bemängeln, dass eine Formulierung gestrichen wurde, die die Streitkräfte unter zivile Kontrolle gestellt hätte. Die enorme Machtfülle des Präsidenten – er ernennt den Vizepräsidenten und die Minister – lehnen sogar Teile des fundamentalistischen Lagers ab.

Ausländische Beobachter sind vor allem über einige Gummiparagrafen in der Verfassung besorgt. Die nicht namentlich genannte Scharia wird durch eine Formulierung indirekt als erste Rechtsquelle festgeschrieben. Sie besagt, dass kein Gesetz „der heiligen Religion des Islam“ widersprechen darf. Gestrichen wurden Kommissionen, die die Neutralität des Justizwesens sowie des öffentlichen Dienstes gewährleisten sollten, sowie ein Verfassungsgericht.

Das ist bedenklich, weil das bereits existierende Oberste Gericht von Fundamentalisten dominiert wird. Sie trieben kritische Journalisten mit Blasphemieklagen ins Exil, verboten Kabelfernsehen und hatten erst vor wenigen Tagen nichts anderes zu tun, als eine Kalifornierin paschtunischer Herkunft als „unislamisch“ zu verdammen, weil sie Afghanistan bei einer Misswahl auf den Philippinen vertreten will.

Schließlich wurden nun auch die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen verfassungsrechtlich entkoppelt. Hinter die um ein Jahr verschobenen Parlamentswahlen muss man nun wohl ein Fragezeichen setzen, denn schon für die kostengünstigere gleichzeitige Variante fehlt bisher noch etwa die Hälfte des Budgets. Die Präsidentenwahl ist weiterhin für Juni 2004 geplant.

Immerhin wird die Regierung verpflichtet, eine „prosperierende und progressive Gesellschaft basierend auf sozialer Gerechtigkeit, Schutz der menschlichen Würde und der Durchsetzung der Demokratie“ zu schaffen. Festgeschrieben wird auch, dass „die Bürger Afghanistans“, also Frauen und Männer gleichermaßen, „vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten“ haben. Politische Parteien werden offiziell zugelassen, die Afghanen dürfen unbewaffnet „für legitime friedliche Ziele“ demonstrieren. Bildung bis zur Sekundarstufe bleibt kostenlos.

Der Entwurf drückt keine Vision für ein neues Afghanistan aus, sondern ist auf gegenwärtige zentrale Akteure zugeschnitten: die Präsidialform auf Karsai und der Posten des Vizepräsidenten – statt eines Premiers – auf Verteidigungsminister Mohammed Kasim Fahim. Er darf sich nun sogar nach einem etwaigen Rücktritt Karsais selbst um die Präsidentschaft bewerben.

Dass diese Konstellation vor allem von Washingtons Vertretern betrieben wurde, pfeifen in Kabul die Spatzen von den Dächern. Sie gilt als einzige Garantie dafür, dass Washingtons afghanistanpolitisches Ziel Nummer eins durchgesetzt wird: ein außenpolitischer Erfolg vor den US-Wahlen 2004. Präsident George W. Bush gab dem bisherigen Sonderbeauftragten und künftigen Botschafter in Kabul, Zalmay Khalilzad, auf den Weg: „Erfolg ist die einzige Option.“