: Europäisches Reaktorprojekt wird teuer
Die Entscheidung, auch in Frankreich einen Reaktor vom Typ EPR zu bauen, ist Teil der mittelfristigen Überlebensstrategie der internationalen Atomindustrie. Die Komponenten für das Framatome-Produkt stammen größtenteils aus Japan
AUS PARIS MYCLE SCHNEIDER
Made in EU. Die Herkunftsbezeichnung steht für Qualität und Zuverlässigkeit. Und wenn das Siemens-Framatome-Reaktorkonzept den Namen EPR für European Pressurized Water Reactor trägt, soll dies europäische Kooperation sowie hohen Standard symbolisieren. Ob das „deutsch-französische“ Projekt im finnischen Olkiluoto überhaupt die europäische Herkunftsbezeichnung tragen dürfte, ist aber fraglich. Die wesentlichen Schlüsselkomponenten kommen aus Japan. Den Reaktortank stellt Nippon Steel her. Das Unternehmen gießt auch die Komponenten für die vier Dampferzeuger, die anschließend von Mitsubishi Heavy Industries zusammengebaut werden. „Es gibt nicht viele Unternehmen, die solche Komponenten herstellen können“, so Projektleiter Ulrich Giese zur taz.
Das finnische EPR-Projekt ist die größte private Industrieinvestition in der Geschichte des Landes. Rechnen tut es sich nicht. Vor allem die Lieferanten müssen tief in die eigene Tasche greifen. Und der erste französische EPR, der laut Ankündigung von letzter Woche im normannischen Flamanville stehen soll, wird wohl noch teurer. Deutsche Energiekonzerne, die die Entwicklung des EPR mitfinanziert haben, sind sauer, weil das Beteiligungsangebot des französischen Strommonopolisten EDF 25 Prozent höher liegt als beim finnischen Meiler. Zweimal Dumping ist offenbar auch für die staatskohleverwöhnte französische Atomindustrie schwer zu verkraften.
So viel ist klar: Das deutsch-französische Konsortium Framatome-ANP, das zu 66 Prozent Areva-Framatome und zu 34 Prozent Siemens gehört, hat den Finnen einen Festpreis garantiert. Ein Novum in der Branche. Martin Landtman, Vizepräsident des finnischen Stromriesen TVO: „TVO hat mit dem Framatome-Siemens-Konsortium einen Vertrag über die schlüsselfertige Lieferung des Olkiluoto-3-Atomkraftwerks unterzeichnet. Ausgenommen von der Lieferung des Konsortiums sind die Vorbereitungs- und Aushubarbeiten am Standort, welche in den Bereich des Eigentümers fallen. Der Wert der gesamten Olkiluoto-3-Investition, einschließlich des ‚Turn-key Contract‘ beläuft sich auf etwa 3 Milliarden Euro (Geldwert 2003). Keine anderen Zahlen werden veröffentlicht.“
Die „anderen Zahlen“ dürften für die deutsch-französische Framatome-ANP selbst böse Wahrheiten enthalten. Einen Vorgeschmack geben die explodierenden Stahlpreise. „Die Situation ist unangenehm“, gestand Framatome-ANP-Geschäftsführer Ralf Güldner der finnischen Presse. „Wir haben einen Festpreis garantiert. Wenn die Rohstoffe mehr kosten, können wir Schwierigkeiten bekommen.“
Die Betriebsdauer des EPR ist auf „mindestens 60 Jahre“ ausgelegt, so die Hersteller kühn – die weltweit laufenden AKWs erreichen ein durchschnittliches Alter von nur 21 Jahren und die französischen von knapp unter 20 Jahren. Und: Die Kostenrechnung ist auf die Fertigung von mindestens 10 Stück ausgelegt. Die wird es kaum geben.
Dabei könnte nur eine Serie die Beibehaltung oder Neuschaffung industrieller Kapazitäten für Großkomponenten in Frankreich rechtfertigen. Die französische Regierung erwägt, für den EPR in Flamanville Großkomponenten im Ausland einzukaufen, darunter die zentralen Elemente Reaktordruckbehälter und Dampferzeuger. Prinzipielle Einwände gegen das Shopping in Japan oder anderswo haben die sonst so nationalistischen Franzosen nicht. „Es ist keine Entscheidung gefallen. Das hängt von den Vorschlägen der Unternehmen EDF und Areva ab“, so Stéphane Michel, Energieberater im Industrieministerium.
Weder Finnland noch Frankreich hat den Energiebedarf, der den Bau eines neuen gigantischen Kraftwerks rechtfertigen würde. Finnland besetzt Platz 5 in der Welt im Wettrennen um den höchsten Pro-Kopf-Stromverbrauch. Eine Verbrauchsminderung etwa auf die Größenordnung in Deutschland würde es ermöglichen, drei EPRs oder die doppelte derzeit in Finnland installierte Atomkapazität einzusparen. Freilich, wie TVO-Vize Landtman freimütig erläutert: „TVO ist ein Grundlasterzeuger, der Strom für seine Eigentümer produziert. Wir haben kein spezifisches Verbrauchsmanagementprogramm.“ Wie sagte schon vor 20 Jahren der amerikanische Energiesparpapst Amory Lovins: „Jeder Schuhverkäufer weiß, dass man auf zwei Arten Profit erzielen kann: über die Masse und über die Marge. Nur die Stromverkäufer haben das nie verstanden.“ In Frankreich beträgt die historische Spitzenlast 80.000 Megawatt, doch die installierte Kapazität addiert sich auf über 120.000 Megawatt, davon etwa 55 Prozent Atomkraft. Selbst unter Berücksichtigung einer komfortablen 20-prozentigen Reservekapazität braucht Frankreich nun wirklich kein neues Grundlastkraftwerk.
Dort geht es deshalb bislang keineswegs um eine „ausschlaggebende Entscheidung, die unsere Gesellschaft dauerhaft mit der Erneuerung unserer Atomkraftwerke strukturieren wird“, wie das französische Netzwerk für den Ausstieg aus der Atomenergie verkündet. Die Entscheidung, den EPR zu bauen, beruht vor allem auf einer mittelfristigen Überlebensstrategie der Atomindustrie. Ein vertrauliches EDF-Papier zum Thema EPR bringt es auf den Punkt: „Die Aufgabe des EPR würde die Umkehrung des Image der Atomenergie verstärken (eine Energie der Vergangenheit, die dem Untergang geweiht ist).“ Letzteres hätte man ohne Klammern und mit Ausrufezeichen schreiben können.