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Archiv-Artikel

Das miese Geschäft mit den Schlachtern

„So um die dreißig Männer haben auf uns eingeschlagen“, sagt der Arbeiter „Das sind Aufrührer oder noch exakter: Erpresser“, sagt der Vermittler

von KENO VERSECK

Badbergen, eine Kleinstadt im Oldenburgischen, so friedlich, dass nicht einmal der örtliche Polizeiposten ständig besetzt ist. So friedlich, dass die Erzählung des rumänischen Gastarbeiters Ioan Raescu wirkt, als hätte er zu viele Krimis gelesen.

„Es war ein paar Minuten nach Mitternacht“, erinnert sich Ioan Raescu, 36, Schlachthofarbeiter aus dem westrumänischen Temesvar. „So um die dreißig Männer sind gekommen. Einer hat die Tür aufgetreten. Sie haben sofort auf uns eingeschlagen, ohne Vorwarnung. Jeweils vier, fünf haben sich einen von uns vorgeknöpft.“

Osteuropäisches Gastarbeiterintermezzo in Deutschland. Raescu und 15 weitere Rumänen arbeiten als Fleischzerleger beim Schlachtbetrieb Gausepohl in Bakum in der Nähe von Oldenburg. Untergebracht sind sie ein paar Kilometer weiter, in einem Wohnheim in Badbergen. Sechzehn Leute auf neunzig Quadratmetern.

Wilfried Ideke, 52, ein Geschäftsmann aus Halle bei Bielefeld, der als Subunternehmer rumänische Gastarbeiter auf deutsche Schlachthöfe schickt, betreut Ioan Raescu und seine Kollegen. Weil er ihnen Lohn schuldet, sind sie Anfang Januar dieses Jahres nicht mehr zur Arbeit erschienen. „Daraufhin hat Ideke uns mehrmals gedroht, er würde uns kaltmachen“, erzählt Raescu. Doch sie gehen trotzdem nicht zur Arbeit. In der Nacht vom achten auf den neunten Januar werden sie deswegen von Ideke und seinen Männern überfallen. Für einen Arbeiter endet die Prügelei mit einem gebrochenen Bein und einem mehrtägigen Krankenhausaufenthalt. Ein paar andere, darunter auch Raescu, werden verletzt und müssen in der Klinik ambulant behandelt werden. Einige der Arbeiter soll Ideke mit einer Pistole bedroht haben.

Für Ideke hatte die Prügelei zunächst nur ein kurzes Nachspiel: Die Polizei nahm ihn wegen illegalen Waffenbesitzes acht Tage in Haft. Doch die Behörden ermittelten weiter. Am vergangenen Dienstag war Großrazzia in Nordrhein-Westfalen: 300 Beamte der Staatsanwaltschaft sowie von Zoll, Finanz- und Arbeitsamt durchsuchten Räumlichkeiten an 30 Orten, beschlagnahmten Akten – und verhafteten Ideke.

Gegen ihn wird ermittelt wegen gewerbsmäßiger Schleusung von mehreren tausend rumänischen Arbeitern und wegen Lohndumpings – konkret: Unterschreitung der Tariflöhne um 50 Prozent. Das Schleusungssystem sei geschickt, so der Oldenburger Oberstaatsanwalt Gerhard Kayser. Vertretungen rumänischer Schlachterfirmen in Deutschland seien Tarnfirmen gewesen.

Es ist längst kein Einzelfall: Angetrieben von wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit und sozialer Verelendung in ihrer Heimat, suchen Menschen aus osteuropäischen Staaten Arbeit im Westen. Erleichtert wird das im Fall von Ländern wie Rumänien durch den abgeschafften Visumzwang und vor allem durch bilaterale Arbeitskräfteabkommen.

Die Fälle gleichen zunehmend der organisierten Kriminalität: Geködert werden die Arbeitswilligen in ihren Herkunftsländern. Ihnen werden Arbeitsbedingungen und Löhne versprochen, von denen sie zu Hause nur träumen können. Sie müssen saftige Vermittlungsgebühren zahlen, um einen Arbeitsvertrag zu erhalten. Einmal im Arbeitsland angekommen, schuften sie dann gnadenlos – zu miserablen Löhnen. Weil der tatsächliche Lohn immer noch höher ist als in der Heimat, wehren sich die Gastarbeiter meistens nicht.

Ioan Raescu und seine Kollegen haben sich gewehrt. Ihre Geschichte beginnt im Herbst 2001. Weil sie zu Hause nur knapp hundert Euro verdienen, wollen sie zeitweise im Ausland arbeiten. Sie melden sich bei der Firma Social Com in der rumänischen Hauptstadt Bukarest.

Social Com schickt rumänische Schlachter als Gastarbeiter nach Deutschland – ganz offiziell. Die Firma gilt als seriös. Sie ist beim rumänischen Arbeitsministerium akkreditiert und hat eine Firmenvertretung in Halle, die Ideke leitet. Das Arbeitsministerium in Bukarest wirbt sogar dafür, sich nur bei Firmen wie Social Com um Arbeitsverträge im Ausland zu bewerben. Das Motto: „Schutz rumänischer Arbeiter im Ausland“, so eine Presseerklärung des Ministeriums vom Juli 2001. Auch Social Com wird darin auf einer Art Positivliste geführt.

Wie seriös Social Com ist, erfährt Ioan Raescu beim Bewerbungsgespräch. Dem Firmenchef, Florin Costache, habe er damals knapp tausend Mark zahlen müssen, um den Arbeitsvertrag für einen deutschen Schlachthof zu bekommen, erzählt Raescu.

Die Merkwürdigkeiten gehen weiter, kaum dass er und seine Kollegen im Land ihrer Hoffnung eingetroffen sind. „Wir sind am 11. Oktober gegen sechs Uhr abends angekommen“, erinnert sich Raescu. „Um acht mussten wir schon Tiere zerlegen – nach dreißig Stunden Busfahrt.“

Ab dem nächsten Morgen, so erzählen sie, arbeiten sie zunächst wochenlang auf Probe auf zwei Schlachthöfen in der Nähe von Oldenburg: „D+S Fleisch“ in Essen und „Gausepohl“ in Bakum. Geld zahlt Ideke ihnen dafür nicht.

Auch später hält er sich nicht an Abmachungen. Statt der zugesicherten acht Stunden lässt Wilfried Ideke die Rumänen zehn bis zwölf Stunden oder noch länger arbeiten, sagen die Gastarbeiter. Sie hätten monatlich Blankoquittungen über die ausgezahlten Löhne unterschreiben müssen und statt der vertraglich vereinbarten 1.200 bis 1.300 Euro mal 700, mal 900 Euro im Monat bekommen. Ideke habe so genannte Garantiesummen einbehalten oder Arbeitsmaterial zu überteuerten Preisen berechnet, behaupten die Arbeiter.

Der Arbeitsvertrag für Raescu und seine Kollegen läuft Ende Januar 2003 aus, und noch fehlt der Lohn für Dezember. Die Arbeiter fürchten, dass sie weder den noch andere ausstehende Summen erhalten werden. Sie zeigen Ideke beim Arbeitsamt an und treten Anfang Januar in den Streik. Ideke bietet ihnen eine Teilzahlung an – die Arbeiter lehnen ab. Eine Woche später dann: die Schlägerei in Badbergen.

Als solche und nicht als Überfall will Wilfried Ideke den Vorfall dargestellt wissen. Die Arbeiter hätten viel getrunken und sich selbst geprügelt, das sei „bei den Jungs normal“. Er selbst habe nur schlichten wollen. Ideke spricht von „Zigeunern“ und von „der Mentalität der Rumänen, die eben so ist, wie sie ist“.

War auch der Streik Ausdruck dieser Mentalität? Oder hatten die Arbeiter ein echtes Motiv? Auch dafür hält Ideke eine simple Erklärung parat: „Die versuchen natürlich, alles herauszupressen: längeres Visum, Arbeitsvertragsverlängerung, Lohn im Voraus, idealerweise noch mehr Lohn, als ihnen zusteht.“ Nicht die Mehrzahl der Leute sei so, aber es gebe eine Hand voll Aufrührern. „Die haben versucht, mich mit Lügengeschichten zu erpressen“, behauptet er.

Auch der rumänische Chef der Firma Social Com, Florin Costache, 49, sieht das so. „Es war Erpressung“, sagt er. „Die haben versucht, einfach mehr zu bekommen. Auch hier in Rumänien erlebe ich das andauernd, so nach dem Motto ‚Ach, der hat doch Geld, versuchen wir es einfach mal‘.“

Alle anderen Vorwürfe der rumänischen Arbeiter bestreiten Ideke und Costache ebenfalls. Costache versteigt sich sogar zu der Behauptung, er habe an den Verträgen mit deutschen Schlachthöfen „in manchen Monaten zwei-, dreitausend Euro verdient, in manchen Monaten nichts“ und manchmal habe er sogar „draufgelegt, damit die Arbeiter ihre Löhne erhalten“.

Deutschen Behörden schien die Version offenbar schon vor Monaten zu schlicht. Sie ermittelten. Mitte April kam das Landesarbeitsamt Hessen, das für Werkverträge mit Gastarbeitern zuständig ist, zu einem ersten Zwischenergebnis. Die Behörde bestätigte die Vorwürfe der Arbeiter, dass sie gefälschte Quittungen unterzeichnen, falsche Angaben über Arbeitszeiten machen mussten und Löhne nicht ausgezahlt wurden. Das Arbeitsamt schloss Social Com von der Vergabe für Gastarbeiterverträge in Deutschland aus.

Ohnehin war Ideke bei deutschen Behörden kein Unbekannter. Schon 1999 lief gegen ihn ein Prozess wegen Lohndumpings. Damals ging es um eine deutsch-lettische Firma, an der er beteiligt war. Auch sie vermittelte Arbeitskräfte an deutsche Fleischfirmen. Ideke wurde mangels Beweisen freigesprochen. Oberstaatsanwalt Gerhard Kayser ist diesmal optimistischer: „Wir haben jetzt mehr in der Hand als damals.“

D+S Fleisch und Gausepohl beteuern, die Praktiken von Ideke und Social Com nicht gekannt zu haben. Arbeitszeiten und Entlohnung der rumänischen Beschäftigten habe allein Ideke kontrolliert. Auch rumänische Behörden wollen mit dem Fall nichts zu tun zu haben. Und dass Beamte des rumänischen Arbeitsministeriums beim lukrativen Vermittlungsgeschäft mit abkassieren, wird im Ministerium in Bukarest dementiert. Es sei „das erste Mal überhaupt, dass eine Firma mit Unregelmäßigkeiten auffällig geworden“ sei, so der Staatssekretär Razvan Cirica. Vom Schutz rumänischer Arbeitnehmer im Ausland spricht er nicht mehr: „Es geht um einen juristischen Gegenstand auf deutschem Territorium und unter deutschem Recht. Damit hat keine rumänische Behörde irgendetwas zu tun.“

Ioan Raescu ist inzwischen wieder in Temesvar, zurzeit arbeitslos. Auf einen Teil seines Lohnes wartet er noch immer. Vor einem Arbeitsgericht in Niedersachsen hat er einen Prozess gegen Ideke angestrengt. Im Ausland würde Raescu dennoch jederzeit wieder arbeiten – trotz seiner Erfahrungen: „Es ist ja bekannt, wie es wirtschaftlich in Rumänien läuft, na ja, und bis wir nach Europa kommen, ist es noch ein langer Weg. Ich würde überall arbeiten, ehrlich, aber menschlich.“