: Für ein Foto mit der Queen
Die Londonreise von Präsident George W. Bush hat vor allem den Zweck, eindrucksvolle Bilder für den bevorstehenden US-Wahlkampf zu sammeln
VON RALF SOTSCHECK
Mehr als 17 Monate hatten sie diesen Besuch vorbereitet, nun ist der Gast in London eingetroffen. Viel wird er von der Stadt nicht sehen, denn aus Furcht vor einem Anschlag wagt er sich kaum aus dem Haus. Bei dem Haus handelt es sich allerdings um den Buckingham Palace, und darum geht es dem US-Präsidenten George W. Bush: Er benötigt ein paar Fotos von sich und Königin Elisabeth, um daheim Eindruck, vor allem aber Stimmen für die Wahlen im nächsten Jahr zu schinden.
Bush wurde gestern Vormittag mit 41 Salutschüssen im Buckingham-Palast begrüßt. Mittags hielt er im Banketthaus eine Rede vor handverlesenem Publikum, in der er den Irakkrieg mit blumigen Worten rechtfertigte. „Das Böse ist vor unser aller Augen“, sagte er. „Wenn wir das leugnen, wird die Gefahr nur größer. Den großen Demokratien ist wieder mal eine große Verantwortung zugefallen. Wir werden diesen Drohungen mit offenen Augen entgegentreten und sie besiegen. Wir wollen die Freiheit fördern und den Frieden, den die Freiheit mit sich bringt. Unsere Nationen stehen zusammen und bringen zu dieser Stunde in einem fernen Land Opfer für dieses hohe Ziel.“
Während der US-Präsident im Banketthaus sprach, wies Premierminister Tony Blair im Unterhaus auf die Bedeutung der britischen Beziehungen zu den USA hin. Die beiden Regierungschefs werden erst heute zusammentrefen. Den gestrigen Tag verbrachte Präsident Bush bei der Queen, die am Abend ein Festbankett für ihn ausrichtete.
Keinem anderen US-Präsidenten seit Woodrow Wilson im Jahre 1918 ist die Ehre eines Staatsbesuchs zuteil geworden. Ob Eisenhower, Kennedy oder Reagan – sie alle wurden lediglich zu Arbeitsbesuchen nach London eingeladen. Präsident Bush kam die Tatsache zu Hilfe, dass der US-Botschafter in London, William Farish, eng mit den Windsors befreundet ist. Auf seiner Ranch in Kentucky betreut er sogar die Pferde der Königin. Er hat den Stimmengewinn bringenden Besuch eingefädelt.
Bushs Plan geht aber nur auf, wenn es keine ernsten Zwischenfälle bei den Protesten gegen seinen Besuch gibt. Seine Rede vor dem Unterhaus hat er vorsichtshalber abgesagt, weil er befürchtete, von vielen Abgeordneten ausgepfiffen zu werden. Zur heutigen Demonstration im Regierungsviertel werden mehr als 100.000 Menschen erwartet. Ähnliche Sicherheitsvorkehrungen hat es in London in dieser Größenordnung noch nicht gegeben. Dennoch kann sich Bush offenbar nicht allzu sicher fühlen. Der Daily Mirror hat gestern erklärt, er habe einen Reporter mit falschen Zeugnissen als Palastdiener in den Buckingham Palace eingeschmuggelt. Innenminister David Blunkett hat eine Untersuchung angeordnet (siehe Kasten).
Die Forderung der US-Geheimdienstler, die U-Bahn stillzulegen, damit sich kein Attentäter unter Bushs Füßen in die Luft sprengen kann, hat Londons linker Bürgermeister Ken Livingstone abgelehnt. Livingstone lud gestern die Kriegsgegner zu einer „Friedensparty“ ins Rathaus ein.
Für Tony Blair ist der Bush-Besuch ein Albtraum, Sympathie hat er dabei höchstens in den USA zu gewinnen. Dort ist er inzwischen beliebter als in Großbritannien. Nachdem Bush in London aufgekreuzt ist, beherrscht der Irakkrieg erneut die öffentliche Diskussion. „Es war nicht George Bush, der uns in den Krieg geführt hat, sondern Tony Blair“, erinnerte der Guardian seine Leser noch einmal. Dennoch sagte Blair trotzig: „Das ist genau der richtige Zeitpunkt für Präsident Bush, unser Land zu besuchen.“
Dass er nicht viel mehr als Staffage für den US-Wahlkampf ist und nur gut zwei Stunden mit Bush die Weltprobleme und die britisch-amerikanischen Beziehungen erörtern kann, stört Blair nicht. „Es ist ja nicht wie im Zweiten Weltkrieg, wo sich die Staatschefs einmal im Jahr zum Gipfel trafen“, sagt er. „Es ist vielmehr Teil eines andauernden Gesprächs.“
Sie haben viel zu bereden. Zwar haben sie sich auf einen beschleunigten Zeitplan geeinigt, der das Ende der Besatzung des Irak im nächsten Jahr vorsieht, aber auch das hängt mit den US-Wahlen zusammen. Bush möchte nicht, dass während des Wahlkampfs Särge mit toten US-Soldaten aus dem Irak ankommen. Der Nahe Osten liegt Blair ebenfalls am Herzen, doch Bush hat bei diesem Thema keine seiner Zusagen eingehalten. Im Handelskrieg wegen der US-Stahlimportsteuer wird Blair den US-Präsidenten ebenso wenig zum Einlenken bringen. Und was die britischen Gefangenen angeht, die in Guantánamo Bay ohne Anklage festgehalten werden, hat Bush noch nicht einmal zugestanden, dass diese nicht hingerichtet werden.
Sidney Blumenthal, Berater des amerikanischen Expräsidenten Bill Clinton und Autor des Buchs „The Clinton Wars“, meinte zu dem besonderen Verhältnis zwischen Großbritannien und den USA: „Harold Macmillan sagte einmal, dass die Briten sich nach dem Zusammenbruch ihres Weltreichs gegenüber den US-Amerikanern verhielten wie die Griechen zu den Römern. Die Griechen waren zwar oft die Lehrmeister der Römer, aber Macmillan vergaß zu erwähnen, dass die Griechen Sklaven waren.“