: „Worte sind die Sache selber“
MAN ODER FRAU: Luise F. Pusch hat die feministische Linguistik mitbegründet. Sie erklärt, wie ihre Analyse der Männersprache Deutsch sie die Karriere gekostet hat und wie die Chancen für eine Revolution der Zeichen zu mehr Geschlechtergerechtigkeit stehen
PROF. DR. LUISE F. PUSCH, 65, hatte die Substantivierung von Verben im Englischen und Deutschen und das italienische Gerundiv erforscht, bevor sie anfing, Absurditäten und Wertungen der Bezeichnungen für Männer und Frauen systemlinguistisch nachzuweisen. Während ihre Aufsatz- Vortrags- und Glossensammlungen „Das Deutsch als Männersprache“, „Alle Menschen werden Schwestern“ und „Die Frau ist nicht der Rede wert“ bei Suhrkamp zu wissenschaftlichen Bestsellern wurden, wurde sie wegen ihrer Forderung nach einer „bequemen und gerechten Sprache“ von der deutschen Uni-Linguistik geächtet. Als freie Autorin untersucht sie von ihrem Wohnort Hannover aus am virtuellen Institut für feministische Biografieforschung (www.fembio.org) weibliche Lebenswege: Zu den Früchten dieser Arbeit gehören die Porträt-Anthologien „Wahnsinns-Frauen“ und „Berühmte Frauen“ sowie der „Frauen-Kalender“. In Glossen beschreibt sie die Geschlechter-Paradoxien der Alltags- und Mediensprache – zuletzt „Die Eier des Staatsoberhaupts“ (2008) und „Der Kaiser sagt Ja“ (2009).
INTERVIEW BENNO SCHIRRMEISTER
taz: Frau Pusch, warum hat sich das „frau“ nicht durchgesetzt?
Luise F. Pusch: Ab wann gilt denn für Sie ein Wort als durchgesetzt?
Das „man“ zählt noch zu den meist gebrauchten Worten …
Natürlich hat es das „man“ nicht ersetzt. Aber alle kennen das „frau“, es wird gebraucht und seit 2006 steht’s im Duden. Das ist doch ein großer Erfolg.
Empirisch belegt ist: Das von Ihnen definierte Ziel einer geschlechtergerechten Sprache ist mehrheitsfähig. Aber das Pronomen „frau“ halten fast alle für inakzeptabel.
Das wundert mich nicht: So etwas dauert sonst Jahrhunderte. Und die meisten sind nun mal konservativ. Die benutzen es nicht – oder mehr so wie ein Gewürz. Wenn sie etwas pointiert sagen wollen, greifen aber sogar Gegner von allem Feministischen wie Der Spiegel auf das „frau“ zurück.
Vergleichsweise zarte Bandagen. Brachial war ja die Reaktion der Uni auf Ihre ersten feministisch-linguistischen Aufsätze vor 30 Jahren. Hatten Sie das erwartet?
Nein. Ich war ja in meinem Fach immer sehr angesehen, habe alle Preise abgeräumt, …
… von den damals 150 Heisenberg-Stipendiaten wurden 149 auf Lehrstühle berufen, …
… und ich war eben die eine, die nicht berufen wurde. Ich war darauf gar nicht gefasst. Das Thema war neu und interessant: Es war grammatische Forschung mit gesellschaftspolitischer Relevanz. Ich hatte mit Respekt gerechnet, weil ich die Wissenschaft für innovationsfreudig hielt – und musste lernen, dass das für feministische Forschung jedenfalls nicht gilt. Das war für mich eine massive Kränkung und finanzielle Verunsicherung.
Eine bleibende?
Es hat sich zum Guten entwickelt. Aber akademischen Nachwuchs ausbilden konnte ich nie, genau wie meine Kollegin Senta Trömel-Plötz. Unsere Studentinnen waren verwiesen an die antifeministischen Linguisten, die uns rausgeschmissen hatten.
Sie hätten Nachfolgerinnen gehabt?
Mehr als das! Das wäre eine weite und breite Schule geworden – wie in der Soziologie und in der Literaturwissenschaft. Die Linguistik hat das abgewürgt.
Was hatte Sie politisiert?
Die Reaktion der Uni hat mich aufgeweckt und radikalisiert. Ich bin friedfertig. Aber es gibt Ungerechtigkeiten, die mich wütend machen, schon als Kind: Einmal habe ich gesehen, wie ein dicker Junge ein kleines Mädchen in die Pfütze gestoßen hat. Da habe ich mich auf ihn gestürzt und ihm zwei Zähne ausgeschlagen. Hier bin ich Senta Trömel-Plötz beigesprungen. Für ihren ersten Text über Frauen und Männer in der Sprache wurde sie derart unsachlich angegriffen, …
… dass Sie dem Rezensenten …?
… dass ich dachte, das darf so nicht stehen bleiben. Ohne Widerspruch hätte sich vielleicht festgesetzt, dass Senta bekloppt ist und das Thema verrückt. Also habe ich geantwortet, auch, um den Eindruck zu erwecken: Da ist nicht nur eine einzelne Verrückte, da muss ein Nest sein.
Aber das gab’s noch nicht?
Bis dahin hatte ich mich noch nicht damit befasst. Vieles fand ich sogar überzogen. Aber als ich mir das Ganze anguckte mit meinen linguistischen Fach-Augen, stellte ich fest: Es war ja noch viel schlimmer als vermutet.
Deshalb haben Sie Ihren Lebensentwurf vom Modell „sozialer Aufstieg durch Bildung“ umgestellt auf – Märtyrerin?
Nein, Märtyrertum liegt mir nicht. Das hatte eher etwas Protestantisches: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Mir wurde damals geraten, meine widerwärtigen Entgleisungen aufzugeben, und wieder „etwas Vernünftiges“ zu schreiben. Ich war aber überzeugt, dass es das Beste war, was ich jemals gedacht hatte. Dem wollte ich nicht abschwören – um einer Karriere willen.
Dabei hatte ’68 die Uni doch politisiert?
Aber nichts am Verhältnis der Geschlechter geändert. Das Gute an ’68 war, dass sich die Frauen da abgespalten und ihre eigenen Interessen artikuliert haben.
Sie hatten in Hamburg studiert, das berühmte Muff-Transparent erlebt …
Damals war ich noch nicht politisch. Ich hatte mit meinen Überlebensproblemen zu kämpfen.
Mit welchen?
Mit denen meiner Partnerin, ihrem Rollstuhl, und denen, die sich aus dem Lesbisch-Sein in dieser Zeit ergaben. Dass wir das im Versteck leben mussten – das war derartig abendfüllend, dass ich für Politik keinen Nerv mehr hatte. Außerdem hatte ich eine schwere Angstneurose: Ich ging täglich eine Stunde zur Psychoanalyse. Zum großen Teil war das bedingt durch die Angststrukturen der Männer-Uni. Die waren für eine ängstliche Frau, Neurotikerin und Lesbe in der damaligen Zeit geradezu tödlich.
Geradezu? Nicht sogar im Wortsinn – für Ihre Freundin?
Bei ihr kam alles zusammen. Weil sie sich den familiären Zwängen nicht entziehen konnte, hatte sie mit 19 Jahren einen Selbstmordversuch unternommen, saß danach im Rollstuhl und wollte nur noch sterben, weil das Leben schwierig war und sie sehr depressiv. In Hamburg waren wir dann zusammengekommen – und allein gelassen mit so vielen Problemen, von denen ein Einziges schon die Leute umbringen kann. Trotzdem konnte ich ihren Wunsch, zu sterben, noch sieben Jahre eindämmen. Aber auch ich wurde immer mürber unter dem Druck der Gesellschaft. Wahrscheinlich war das mein erster Radikalisierungsschritt – der Selbstmord meiner Partnerin. Der zweite war die Reaktion der Uni.
Wie lange haben Sie sich auf Lehrstühle beworben?
Aus existenziellen Gründen noch bis 1986. Vor meinen feministischen Forschungen und schon vor meiner Habilitation war ich ja bei den Berufungsverfahren immer auf den vorderen Plätzen gelandet. Aber damit war es vorbei. Der größte Klops, das war 1983 / 84 in Bielefeld: Dort stand ich schließlich, nach einer Intervention von Studentinnen und der literaturwissenschaftlichen Fakultät, auf Platz zwei der Vorschlagsliste. Und der Wissenschaftsminister Hans Schwier hatte versprochen: Sobald ich auf egal welchem Listenplatz eine Frau sehe, berufe ich sie – weil er die Zahlen so beschämend fand. Aber gegen Ende des Verfahrens wurde er durch Rolf Krumsiek abgelöst. Der fühlte sich ans Wort seines Vorgängers nicht gebunden. Den Frauen, die in ganz Nordrhein-Westfalen für meine Berufung demonstrierten, sagte er: Er könne ja nicht den armen Mann auf Platz eins wegen seines Geschlechts diskriminieren. Danach hatte ich keine Lust mehr.
Und das alles für einen Streit – um Worte?
Natürlich ist es ein Streit um Worte. Wir leben aber doch im Zeitalter der Information. Und Sprache ist das Mittel der Information. Wie wollen Sie denn zwischen Worten und Information unterscheiden? Die Worte sind die Sache selber. Gleiche Erwähnung ist genauso wichtig wie gleiche Bezahlung.
Genauso wichtig? Die Linguistin Gisela Klann-Delius nennt Feminismen wie das Binnen-I „Beruhigungsmittel“ …
Da halte ich es lieber mit Bourdieu, der gesagt hat: Dass sich diese Männerherrschaft derart hat perpetuieren können, liegt an ihrem symbolischen Kapital. Das wurde niemals angegriffen. Und es prägt uns. Ein Beispiel: Die amerikanische Psycho-Linguistin Lera Boroditsky hat spanisch- und deutschsprachige Leute Assoziationen zu Bildern der Golden Gate Bridge notieren lassen. Die Deutschsprachigen fanden die Brücke elegant, leicht, schön – die Spanischsprachigen fest, hart, stabil. Im Spanischen heißt die Brücke „el puente“. Maskulinum. Wenn sich die Menschen selbst die als etwas Männliches oder Weibliches vorstellen, wie gehen sie dann mit angeblich neutralen Begriffen wie „Lehrer“ oder „Student“ um? Selbst Dinge werden maskulinisiert – und bei Personenbezeichnungen soll das anders sein? Das ist doch Unsinn!
Also müssten wir Ihren Vorschlag aufgreifen, die Artikel frei und wählbar zu machen, sprich: „die Professor“ zu sagen, „die Kanzler“, „die Linguist“? Kämen wir damit Bourdieus Symbol-Revolution nicht näher als mit dem Binnen-I?
Natürlich. Das sage ich ja seit 30 Jahren. Aber das wird von vielen als so unerträglich radikal empfunden, …
… dass es sich nie durchsetzen wird?
Erst einmal muss der politische Wille da sein, die Sprache als krank und reparaturbedürftig anzuerkennen. Wenn wir im Parlament 52 Prozent Frauen hätten, wie in der Bevölkerung, könnte ich mir vorstellen, dass diese Lösung durchgesetzt würde. Um diesen Streit ein für alle Mal vom Tisch zu bekommen.