ACHSE DER POPSÄNGERINNEN VON RENÈ HAMANN : Ins Dunkle
Am Instrumentarium von Au Revoir Simone hat sich nichts Wesentliches geändert. Die drei Frauen aus Brooklyn benutzen Sirenengesang, billige Beatboxen und analoge Synthesizer. Anders als das luftige Debütalbum klingt „Still Night, Still Light“ im ersten Moment spröde, entfaltet aber schon bald eine Sogwirkung hinab ins Dunkle. Au Revoir Simone ist es gelungen, Slow Indie Deep Vocal House zu kreieren und ihren Geräten Gefühle zu entlocken. Mit wenigen Worten. „Another Likely Story“, das Eröffnungsstück, oder das sinnlich kreisende „All Or Nothing“ sind nachdenklich stimmende Downer. Aber auch tanzbar. Im Frühling gibt es ja auch schattige Tage! Die tiefen Orgelbässe, die simplen Obertöne, die oft in Moll gehaltenen Harmonien und dazu der melodiöse Gesang von Heather D’Angelo, Erika Forster und Annie Hart, immer schön im Wechsel, manchmal kanonhaft, manchmal konterkarierend: besser hat Alleinunterhalterinnenmusik selten geklungen. „Oh joy, I can see you, it’s all I want.“
Au Revoir Simone: „Still Night, Still Light“ (Moshi Moshi/Universal)
Nach gestern
„Wehr dich doch“. Das Bierbeben machen Electroclash mit wortkargen deutschen Texten, gesungen von Julia Wilton, ehedem bei den Pop Tarts. Hinter ihr steht Subkulturprominenz: Jan Müller spielt Bass bei Tocotronic, andere Bandmitglieder mischen u. a. bei Herrenmagazin mit. Das neue Bierbeben-Album vertraut einem alten Rezept: Melodiedisko plus Sloganism mit Wurzeln in der NDW. Das klingt mittlerweile stadtbekannt und nicht mehr so pointiert nach vorne wie früher. Texter Müller orientiert sich allzu gern am Mutterschiff Tocotronic, es gibt „Dunkle Tage“, flüchtende Könige, schlaflose Sängerinnen und omnipräsente Einsamkeiten. Abgesehen vom Tiefpunkt der Platte, der ausgerechnet „Hochzeit“ heißt und im Original von Franz Josef Degenhardt stammt, kann man sich gut unterhalten fühlen, zum Beispiel vom schwingenden Pop in „Abschied“ oder dem leicht hypnotischen Rausschmeißer „Nihilit“.
Das Bierbeben „s/T“ (Shitkatapult)
Ins Überschwängliche
Camera Obscura schwingen die Arme, und ein großes Orchester spielt auf. Popmusik: Songs aus dem Geist der großen Produktionen der Sechziger, Wände aus Geigen. Wann hat man zuletzt solche Violinen gehört? Auch Tracyanne Campbell, Stimme und Kopf des Sextetts, hat, schenkt man den bittersüßen Texten Glauben, den elenden Balladen und flotteren Kopfhochsongs, schon so einiges durchgemacht. Das Resultat dieses tragischen Lebenswandels ist nicht immer frei von Kitsch. Manchmal haben die mit Belle & Sebastian befreundeten Schotten auch zu viel Richard Strauß gehört („Careless Love“). Aber die knochenharte Melancholie, die sich besonders im Titelstück breitmacht und dem Hörer ins Gesicht springt wie aus einer Bücherei entlassene Wörter (ein Zitat aus dem Eröffnungsstück, das putzigerweise „French Navy“ heißt und eher von der überschwänglichen Sorte ist), die muss man erst mal schlucken. „My maudlin career has come to an end, I don’t want to be sad again“: Camera Obscura bringen sich selbst auf den Punkt. Hoffentlich hilft es.
Camera Obscura: „My Maudlin Career“ (4AD/Beggars Group/Indigo)