: Der Berufs-Querulant
JUSTIZ Nur die heißen Eisen: Gerhard Strate hat Terrorverdächtige, Kiez-Paten und vermeintliche Kindesmörder verteidigt. Und während des Kosovo-Konflikts die Bundesrepublik vor Gericht zitiert. Zurzeit verklagt er Manager der HSH Nordbank
Der in Thüringen als Sohn eines Ingenieurs geborene Gerhard Strate hat nahezu sein gesamtes Leben in Norddeutschland verbracht. Seit 1979 ist er in Hamburg als Rechtsanwalt tätig, zwischenzeitlich war er auch als Wissenschaftler aktiv. In den 1980er Jahren war er Justizdeputierter der GAL. Neben seiner Tätigkeit als Strafverteidiger machte er sich auch mit Fachpublikationen zu straf- und strafprozessualen Themenstellungen einen Namen. 2003 verlieh ihm die juristische Fakultät der Universität Rostock die Ehrendoktorwürde. Strate ist verheiratet und Vater eines Sohnes. Seine Freizeit widmet er dem Marathon und Bogenschießen. SB
VON SEBASTIAN BRONST
Als Verteidiger hatte er mit vielen zu tun. Man könnte sagen, Gerhard Strate hat fast alles erlebt. Der Terrorverdächtige Mounir al-Motassadeq, angeklagt wegen Beteiligung an den Anschlägen vom 11. September, war sein Mandant. Die angebliche Kindermörderin Monika Weimar, heute Böttcher, deren Fall in den 1980er Jahren die Republik beschäftigte wie kein anderer, auch. Ebenso wie der letzte deutsche Kiez-Pate Ringo Klemm, dessen Verurteilung 1993 auf St. Pauli eine Ära beendete.
Neuerdings gilt sein Interesse den Ursachen der Wirtschafts- und Finanzkrise sowie dem Missmanagement der wackelnden, durch Staatshilfen stabilisierten HSH Nordbank. Deren Manager zeigte er wegen Untreue in einem besonders schweren Fall an. Es rege ihn auf, dass deren Fehler wie Unfälle behandelt würden, sagt er. „Da gibt es auch eine strafrechtliche Verantwortlichkeit.“
Der Prozess, der Strates Leben am meisten prägte, war dagegen nach allen denkbaren Maßstäben ziemlich unspektakulär. Es ging um einen Studenten, der 1975 nach einer Demonstration wegen Widerstands gegen Polizeibeamte und Gefangenenbefreiung in Hamburg zu einer Geldstrafe verurteilt werden sollte. In dritter Instanz gelang es dem jungen Mann, der sich in der Revision selbst verteidigte, das Urteil aufzuheben. Sein Name: Strate. „Es hat mir gezeigt, wie subjektiv die Wahrheit in Strafverfahren sein kann“, erinnert sich der heute wohl bekannteste Verteidiger der Hansestadt an seinen ersten Prozess, den er gleich gewann – und der ihn dazu brachte, nach dem Studium Anwalt zu werden.
Der kleine grauhaarige Mann mit der runden Brille und dem spontanen, herzhaften Lachen ist bekannt, ja gefürchtet für seinen Scharfsinn, seine ungewöhnlichen juristischen Ansätze und seine detailverliebte Hartnäckigkeit. Ein akribischer Rechercheur, der die Fälle seiner Mandanten ebenso tief zu durchdringen versucht wie die politischen Zusammenhänge außerhalb seiner Kanzlei. Früher hielt er sich mal für einen Kommunisten. „Aber das war ein Missverständnis“, sagt er. Bis heute bezeichnen ihn manche gern als „Radikalliberalen“. Den Grünen nahe stehend, wenngleich parteipolitisch nicht gebunden, galt er auch schon als Kandidat für das Amt des Hamburger Justizsenators.
„Mein Ehrgeiz war immer, auch die Dinge zu durchschauen, die um mich herum passieren“, sagt der 59-Jährige beim Gespräch in seinem geräumigen Büro, das mitsamt angeschlossener Privatbibliothek eine ganze Etage füllt. Sein Schreibtisch ist mit Aktenstapeln bedeckt, der Blick aus dem Panoramafenster geht über die Dächer der Neustadt zum grün schimmernden Turm des Rathauses. Ein kleines Goethe-Porträt in dickem Goldrahmen hängt hinter ihm an der Wand. Er liebe Klassiker, erzählt Strate, allein schon der rhetorischen Anregungen wegen. Der Schimmelreiter von Theodor Storm ist sein Lieblingsbuch.
Doch man würde irren, wenn man sich aus einem solchen Detail schon ein Bild des Menschen Strate und seiner Interessen machen wollte. Adornos Thesen kennt er ebenso gut wie die Werke des Dichterfürsten aus Weimar. Dessen Porträt muss sich den Platz an der Wand nicht zufällig mit einem New York-Bild des zeitgenössischen Künstlers Luigi Rocca und einem Filmposter der Schauspielerin Audrey Hepburn teilen. Einseitig, man ahnt es, ist der ruhig daherkommende Mann nicht.
Berühmt geworden ist Strate mit unbequemen, ja aussichtslos erscheinenden Fällen – in denen der Rechtstaat im Vertrauen auf die eigene Objektivität am Ende doch um Haaresbreite daneben lag. Der als Mörderin ihrer eigenen Töchter verurteilten Monika Weimar, später Böttcher, verhalf er zur Freiheit, indem er grobe Fehler in der Beweisführung aufdeckte und einen neuen Prozess erzwang. Durch 13 Instanzen begleitete er den wegen sexuellen Missbrauchs verurteilten Bernd Herbort, dann stand fest: Die Vorwürfe waren erfunden.
Aufgabe eines Strafverteidigers sei es, „Zweifel zu säen, wo sie keiner mehr hat“, fasste Strate seine eigene Berufsauffassung einmal zusammen. Dass ihm sein Pochen auf rechtsstaatliche Grundsätze mitunter als Profilierung oder taktische Querulanz ausgelegt wird, ficht ihn nicht an. Wenn Staatsanwälte und Richter übertrieben, „zeichnet es einen halbwegs guten Verteidiger aus, dass er ihnen deutlich macht, dass sie sich auf dünnem Eis bewegen“, sagt der unkonventionelle Jurist. Ein Star-Verteidiger will er deswegen noch lange nicht sein. Das „Wegdealen“ schwerster Straftatbestände sei eine Unsitte, die er ablehne. „Das kann ich wirklich nicht ertragen“, sagt er grimmig.
Mit seiner Lust an Argumentation und Konfrontation mischt sich der „Quälgeist der Justiz“ (Die Zeit) auch immer wieder in gesellschaftspolitische Debatten ein. So gab er einen Informationsbrief zum Ausländerrecht heraus, zeigte während des Kosovo-Konflikts die Bundesregierung wegen Führens eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs an und setzte für einen bei der Kandidatenaufstellung übervorteilten CDU-Abgeordneten 1993 die Wiederholung der Bürgerschaftswahl durch.
„Juristen haben schon Macht“, sagt er, verschweigt aber auch nicht ein sehr persönliches Motiv für diese Vorstöße: Er brauche die Abwechslung vom Strafrecht – „dieser ganz eigenen Welt, die zum Zynismus erzieht.“