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Archiv-Artikel

daumenkino „Fremder Freund“

Dünn ist die Grenze zwischen Hölle und Paradies. Damit wir das auch kapieren in dem Film „Fremder Freund“, prangt an der Küchenwand ein Filmplakat zu „Der schmale Grat“. Die Linie zwischen Buddy-Film und Psychothriller, auf der Elmar Fischers „Fremder Freund“ allenthalben mit dicken Stiefeln herumtrampelt, hätte man sich allerdings dick wie die chinesische Mauer gewünscht.

Paradies, das ist eine Wohngemeinschaft in trister Berliner Klinkerbau-Gegend. Yunes, Student der Verfahrenstechnik, zieht bei Chris ein. Aus der losen Bekanntschaft wird flugs dicke Freundschaft. Das geht deshalb so schnell, weil sich zwischen den dünnen Wänden der Wohnung der kleinste Beziehungsknatsch leicht zur Neuigkeit des Tages auswächst. Obendrein haben Fischer und sein Drehbuchautor Tobias Kniebe dem Yunes-Darsteller Navid Akhavan eine Herzlichkeit von mindestens drei Generationen von Jemeniten angeheftet, die auch ein Aufwachsen in Deutschland nicht verderben konnte. Trotzdem hat „Fremder Freund“ hier seine schönsten Momente: So innig sah man selten zwei Jungs im Film.

Die Hölle, das ist ein Verdacht, der Chris beschleicht. Denn Yunes ist wenige Tage vor den Anschlägen des 11. September spurlos verschwunden. Damit die Zuschauer gleich richtig teilnehmen können an den Psychosen von Chris, hat der Film eine komplizierte Zeitstruktur. Am Anfang feiert man noch zusammen, am nächsten Morgen ist Yunes nicht zum Aufräumen da, später machen alle Dagebliebenen vorm Fernseher große Augen. Die Suche nach den Gründen für Yunes’ Verschwinden entfaltet sich dann in verschachtelten Rückblenden. Die Hölle, oh, holde Dialektik, sind auch die quälenden Fragen, die Yunes’ Ausflug in die „Islam AG“ und sein plötzliches Gerede von Jungfrauen im Paradies für den armen Chris aufwerfen.

Ein Akte X-mäßiger Soundtrack rückt das Ganze in die Nähe reißerischer Fernsehfeatures über die Hamburger Marienstraße. Um bis zum Schluss offen zu lassen, ob der Verschwundene ein Schläfer war oder nicht, bietet das Drehbuch einige dramaturgische Verrenkungen auf und Merksätze wie: „Zurzeit ist doch jeder schuldig, der Mohammed, Mustafa oder Ali heißt.“ Den rassistischen Generalverdacht hat Bruce Willis in „Ausnahmezustand“ schon salopper verworfen. Aber hier geht es weniger ums Verwerfen als darum, dem Misstrauen mal so richtig nachgeben zu dürfen. Und genauso wie das nach und nach jede Falte der Freundschaft erfasst, hat schließlich ein mieser Psychothriller den Buddy-Film vollständig annektiert.

CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK