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Archiv-Artikel

„Ich war Oberministrant“

Benedikt Lux

„Meine Mutter wollte übrigens immer, dass ich zum Priesterseminar gehe. Das habe ich abbiegen können, aber zur Kirche gehe ich hin und wieder“

Als die Berliner Grünen als Alternative Liste 1978 geboren wurden, war Benedikt Lux noch gar nicht auf der Welt. Als sie Anfang Oktober ihren 25. Geburtstag feierten, war er wieder nicht dabei: Der Nachwuchsverband der Partei, die über 4.000 Mitglieder zählende Grüne Jugend, wählte den 21-Jährigen am selben Wochenende in Leipzig zu seinem Chef. Bundessprecher heißt das offiziell bei dem Nachwuchsverband. Beim Dresdner Parteitag der Mutterpartei, die beim Nachwuchs unter „Altgrüne“ läuft, rollte Lux mit anderen Jung-Grünen in einer Spaßaktion einen Gebetsteppich aus: „Das sollte Tradition werden bei den Grünen: Wenn Joschka zu uns spricht, sollten wir ihn gemeinsam anbeten und ihm huldigen“

Interview STEFAN ALBERTI

taz: Herr Lux, da haben Sie sich ja ein schönes Karrieresprungbrett gesichert.

Benedikt Lux: Es könnte insofern ein Karrieresprungbrett sein, als dass ich Leute kennen lerne, die ich sonst nie treffen würde. Aber ich bin ja nicht bei der SPD, wo jeder Parteichef schon mal Juso-Vorsitzender war und jeder Minister auch. Die Grüne Jugend gibt es ja erst seit zehn Jahren und deshalb haben wir diesen Automatismus nicht.

Na ja, in kleinerer Ausführung doch: Von Ihren drei Vorgängern sitzt die eine heute im Grünen-Bundesvorstand, die nächste im Berliner Abgeordnetenhaus, und der dritte kandidiert fürs Europaparlament.

Ob Sie’s glauben oder nicht: Ich mach mir darüber keine Gedanken. Das geht schon praktisch nicht: Ich bin 21 und darf satzungsmäßig höchstens zwei Jahre Sprecher sein. Dann wäre ich 23 und noch mitten im Studium. 2006, wenn die nächsten Wahlen in Berlin und im Bund anstehen, werde ich mit Jura voll eingespannt sein. Da kann ich nicht mehr den ganzen Tag Politik machen. Deswegen tue ich das ja jetzt.

Ist ja auch so schon nicht schlecht. Mit 21 Boss von über 4.000 Mitgliedern, mit 19 schon Landeschef gewesen. Da müssten Sie eigentlich abdrehen.

Man schafft das ganz simpel über die alltägliche Arbeit. Papiere entwerfen, Artikel schreiben und immer versuchen, den Bezug zu denen zu halten, die einen gewählt haben.

Mmh, klingt ein bisschen nüchtern.

Ist aber so.

Es soll ja so etwas wie Polit-Groupies geben: Frauen, die auf Männer mit Mandaten und Ämtern abfahren. Werden Sie jetzt stärker angebaggert?

Nicht öfter als vorher. Ich bin ja jetzt viel weniger abends auf Tour durch Kneipen oder Partys. Die Phase ist vorbei. Und wenn das früher passierte, lag das nicht daran, dass ich ein Politpromi war, sondern weil ich gebaggert habe und dann zurückgebaggert wurde.

Die Frau, die kürzlich in der „Zitty“ über Sie schrieb, schien ganz angetan. Oder ärgert Sie etwa ein Satz wie „Er lächelt sein professionelles Lächeln, das durch die leicht schief stehenden Zähne besonders charmant wirkt“? Ist doch fast eine Liebeserklärung.

Ja, das ist es wirklich, und das macht mich eher verlegen. Aber gegen den Eindruck kann ich mich ja nicht wehren – auf Sie werde ich den vielleicht nicht machen. Vielleicht liegt es an meiner Erziehung: Meine Mutter kommt aus Südkorea, und da ist ja dieses Lächeln immer so ein Ventil, egal ob man nun verlegen ist oder sich aufregt.

Haben Sie eigentlich Freunde, die sich überhaupt nicht für Politik interessieren? Mit denen Sie nur die Sportschau gucken und Bier trinken?

Ja, habe ich. Schon allein deshalb, weil ich hier in Berlin aufgewachsen bin und noch Freunde von früher habe.

Da geht es ganz banal um Hertha …

… oder Schlüpfrigkeiten, die bei der Grünen Jugend politisch nicht korrekt wären. Aber wenn mich einer auf Politik anspricht, bin ich gleich dabei: Ich habe eigentlich immer Lust, über Politik zu reden.

Kleiner Test: Wie hat Hertha vergangene Woche im Pokalgespielt?

Sechs-eins verloren, gegen Bremen. Aber das ist ein schlechter Test: Da müsste ich schon hinterm Mond gelebt haben, um dieses Drama nicht mitzubekommen.

Lassen Sie uns noch mal über die Sache mit der Karriere reden. Ihr Jurastudium an der Humboldt-Universität, das passt schon in das Bild. Ob Schröder, Schily, Westerwelle oder Ströbele, alle haben Jura studiert.

… und auch der Kollege Mißfelder von Jungen Union, der gerade abgebrochen hat. Könnte echt passen. Hat aber für mich einen anderen Hintergrund. Wieso machen denn Leute Politik, im besten Fall zumindest? Weil sie von Jugend an ein Gerechtigkeitsdefizit spüren und sich sagen, da muss ich was dran ändern. Bei Jura ist das doch genauso, auch wenn sich das idealistisch anhört …

und bei Steueranwälten auch ganz anders aussieht.

Das ist aber nicht mein Ding. Mir war ziemlich schnell klar, dass es für mich nicht viel Sinn macht, an der FU Politik am „Osi“ zu studieren, um Politiker zu werden. Das ist ja so der Klassiker bei der Grünen Jugend.

Zuviel Gelaber für Sie?

Kurz gesagt: ja. Ich will niemanden diskreditieren, der am „Osi“ studiert, aber für mich wär das nichts. Die Renate (Künast, d. Red.), sagt immer, wir würden in Jura eine Menge Handwerkszeug auch für die Politik mitbekommen. Hört sich vielleicht blöd an, aber dazu gehört auch Auswendiglernen. Das ist gerade für einen wie mich, der sonst eher intuitiv, also aus dem Bauch heraus Politik macht, ein gutes Beiwerk.

Wie kriegen Sie von der Zeit her Studium und Chefposten zusammen?

Ich studiere zugegebenermaßen gerade nur auf Leistungsnachweise hin.

Wie fiel der letzte aus?

12 Punkte, das ist in Jura nicht gerade schlecht. Ich habe mich echt gefreut, für den Aufwand so gut abzuschneiden. Aber das dürfen Sie nicht schreiben. Wenn das ein Professor liest, meint der, ich müsste mehr gefordert werden.

Wissen die Professoren und die Kommilitonen von ihrem Chefjob?

Die meisten schon.

Und: Macht da ein konservativer Prof schon mal eine Bemerkung?

Auf jeden Fall. Wir streiten sogar ziemlich viel, und oft nicht sachlich. Aber das macht durchaus Spaß.

Die Grüne Jugend hat auch bei der Agenda 2010 viel gestritten und kritisiert. Bloß hat das in der Öffentlichkeit kaum einer gemerkt. Anders die Jusos bei der SPD. Deren Chef Niels Annen wurde mit seinem Protest gegen Schröder zur Medienfigur.

Den Annen muss man echt beglückwünschen. Der hat mit den Jusos eine ganz andere Durchschlagskraft. Bei uns ist das noch anders. Schon rein historisch, weil die Jusos bald 100 Jahre alt sind. Aber auch strukturell, weil wir unsere Altersgrenze bei 28 Jahren liegt und nicht bei 35 wie bei Jusos und Junger Union. Wir sind auch noch ein sehr ungeeinter Verband, der sich seiner Stärke erst mal bewusst werden muss, um das voll einbringen zu können. Das zu verändern ist mein Job.

Ihre Vor-Vorgängerin Ramona Pop sagt, als Jugendverband könne man nur auf sich aufmerksam machen, wenn man Brachialkritik an der Mutterpartei übt oder es sich wie der JU-Mann Mißfelder mit der halben Republik verscherzt.

Da hat sie Recht.

Sie bezeichnen sich aber selbst als harmoniebedürftig. Wie passt das zusammen?

Es bringt ja nichts, nur um des Bekanntwerdens wegen Kritik zu üben. oder Rücktrittsforderungen zu stellen. Da könnte ich Ihnen jeden Tag eine nennen, in der Partei und außerhalb. Den Bahnchef Mehdorn etwa, den hätte ich gerne sofort weg. Bringt aber nichts, wenn man das inflationär gebraucht.

Gibt es Berührungspunkte zu den anderen Nachwuchsverbänden?

Deren Themen, ausgenommen die Junge Union, sind ja fast schon klassische grüne Themen. Die Jungen Liberalen betonen immer den liberalen Ansatz in der Bürgerrechts- und Innenpolitik. Ich war bei deren Bundeskongress. Da haben die das mit dem Guido diskutiert, also dem Westerwelle, und gefragt: Guido, wann rücken wir von unserem neoliberalen Kurs ab? Der war ja mal Juli-Vorsitzender, und deshalb gibt es ja diese guten Verknüpfungen.

Das hört sich neidisch an.

„Da war ich auch zwei-, dreimal. War mir aber zu altbacken mit Referaten über Marx, Lenin und die ganze Geschichte der Arbeiterbewegung“

Wenn der Joschka Fischer mal Vorsitzender der Grünen Jugend gewesen wäre, dann wäre das Verhältnis bei uns auch viel enger. Der Guido kannte bei dem Kongress alle Leute namentlich.

Kümmert sich der Fischer zu wenig um die Grüne Jugend?

Definitiv. Der war doch bei keiner Veranstaltung von uns.

Das wird nach Ihrer Spaßaktion beim Parteitag in Dresden, wo die Grüne Jugend Fischer klamaukmäßig angebetet hat, kaum anders werden.

Wenn Fischer die nächsten Wahlen gewinnen und EU-Außenminister werden will, hat er auf den Jugendverband seiner Partei zuzukommen.

Sie kamen 1997 zu den Grünen. Wieso eigentlich? Die waren damals ziemlich wenig sexy.

Die Grünen waren nicht nur wenig sexy, die waren absolut unsexy. Opposition, ein Jahr später der Bundeswehreinsatz im Kosovo. Vielleicht hat mich gerade das gereizt. Ich war vorher bei der Antifa, in einer ganz linken Ecke. Bloß war mir das auf Dauer zu unreflektiert.

Sie hätten ja auch zu den Jusos gehen können.

Da war ich auch zwei-, dreimal. War mir aber zu altbacken mit Referaten über Marx, Lenin und die ganze Geschichte der Arbeiterbewegung.

Ach, das gab’s noch?

Ja sicher, aber so richtig. Entscheidend war, was ich bei mir zu Hause im Kiez erlebt habe. Ich bin nämlich in Lichterfelde aufgewachsen, völlig katholisch sozialisiert – ich war Oberministrant und im Pfarrgemeinderat. Alles schön christlich-sozial – und gleichzeitig bin ich angemacht worden, weil meine Mutter aus Korea kommt. Voll bigott! Das war in Berlin und doch wie in Bayern.

Demnach wären Sie vielleicht nie bei den Grünen gelandet, wenn sie in Kreuzberg aufgewachsen wären, wo Sie heute wohnen.

Das kann durchaus sein. Ist aber müßig, über Vergangenes zu spekulieren.

Sind Sie denn noch katholisch?

Ja, und ich bin immer noch noch in Kontakt mit meinem alten Pfarrer. Wir sind aber nie einer Meinung, weil das für mich so verbohrt-konservativ ist. Meine Mutter wollte übrigens immer, dass ich zum Priesterseminar gehe. Das habe ich abbiegen können, aber zur Kirche gehe ich hin und wieder. Allein schon deshalb, weil ich da gut abschalten kann.