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Archiv-Artikel

Kuddelmuddel auf allen Ebenen

Heute startet der letzte Spieltag einer Bundesliga-Vorrunde, die ziemlich allen vor Saisonbeginn geäußerten Prognosen beharrlich trotzt. Spieler treiben ihre Manager in den Wahn und umgekehrt, Bochum will Meister werden, Hertha absteigen

Gäbe es nicht Köln und Frankfurt, man wüsste nicht mehr, woran man sich halten soll

VON MATTI LIESKE

Was war das doch für eine merkwürdige Bundesliga-Hinrunde, die sich heute mit den ersten Partien des 17. Spieltages ihrem Ende zuneigt? Drunter und drüber ging es in der Tabelle. Was einmal oben war, ist nun unten, und erst recht umgekehrt. Die ältesten Wahrheiten sind außer Kraft gesetzt, und hätte sich nicht wenigstens Bayern München gerade noch rechtzeitig auf den Pfad des unverschämten Glücks zurückbegeben, man verstünde die Fußballwelt überhaupt nicht mehr. Wie kann es zum Beispiel sein, dass der beste Fußballer der Liga ausgerechnet in Wolfsburg spielt? Wie ist es möglich, dass die spielentscheidende Fehlentscheidung eines Schiedsrichters dem Underdog Borussia Mönchengladbach zum Sieg verhilft und nicht dessem Gegner Borussia Dortmund, der jahrelang von solchen Dingen zehrte? Wie ist es zu erklären, dass der VfL Bochum munter an den Champions-League-Plätzen schnuppert, während ein zuverlässiger Eroberer von Uefa-Cup-Plätzen wie Hertha BSC ins Nichts durchsackt. Gäbe es nicht den 1. FC Köln und Eintracht Frankfurt, man wüsste gar nicht mehr, woran man sich halten soll.

Wie es zu diesem wunderhübschen und unterhaltsamen Kuddelmuddel kommt, liegt auf der Hand und wurde oft genug analysiert: Das Niveau der höchsten deutschen Fußballklasse ist schlecht. Nur drei Vertreter der Bundesliga haben es ins Viertelfinale des DFB-Pokals geschafft, im Europapokal (außer UI-Cup) gelangen in dieser Saison sieben deutschen Mannschaften in 26 Spielen gegen größtenteils nicht gerade übermächtige Kontrahenten nur zwölf Siege, vier davon dem VfB. Jeder Gegner, woher auch immer, ist brandgefährlich, erst recht natürlich in der Bundesliga, wo es für niemand mehr Partien zum Ausruhen gibt.

Bei derartiger allgemeiner Unsicherheit spielt die psychische Befindlichkeit eine große Rolle. Wie leicht selbst ein traditionell vor Selbstbewusstsein strotzendes Team mittlerweile das große Nervenflattern bekommt, führte der FC Bayern München nicht nur gegen Celtic Glasgow und den RSC Anderlecht, sondern auch gegen Köln oder Schalke vor. Das beste Beispiel für die unterschiedliche Gefühltheit der jeweiligen Situation bieten Bochum und Dortmund. Sein Klub, so tönte VfL-Trainer Peter Neururer jüngst in der Zeit, habe mit den hinteren Tabellenregionen fürderhin nichts mehr zu tun, viel wahrscheinlicher sei der Gewinn der Meisterschaft. In Wahrheit schwebt der VfL Bochum in akuter Abstiegsgefahr. Wenn man Dortmunds Trainer Matthias Sammer glaubt. Der erklärte nach dem sonntäglichen 1:2 in Mönchengladbach gewohnt kassandrisch: „Eine gewisse Nervosität ist angebracht, unsere Situation ist extrem.“ Dortmund liegt mit 24 Punkten auf Rang sechs, Bochum mit 25 auf Rang fünf. Man darf davon ausgehen, dass es nicht dieser eine Punkt ist, der den Unterschied zwischen geschwellter Brust und kleinmütigem Defätismus ausmacht.

Dabei sind es nur zwölf Punkte, die zwischen dem 16. Tabellenplatz der Berliner Hertha und dem des VfL Bochum liegen, ein Rückstand, der schneller aufgeholt ist, als mancher Trainer „Rauswurf“ sagen kann. Es kann also gut sein, dass die Tabelle vor dem 34. Spieltag ein völlig anderes Gesicht haben wird, auch im vordersten Bereich, wo sich vier Klubs zwar ein wenig abgesetzt haben, aber längst nicht so weit, wie es zumindest dreien von ihnen angestanden hätte. Kaum zu glauben, dass ein VfB Stuttgart, der in 16 Spielen lediglich vier Treffer kassiert hat, während jedes andere Team mindestens 15 hinnehmen musste, nur auf dem zweiten Platz liegt, hinter den Bremern, die schon satte 20 Tore einsteckten.

Noch weniger zu glauben, dass die Mannschaften, an die inzwischen alle denken, wenn von der Attraktivität der Liga die Rede ist, zwei bisherige Low-Budget-Teams wie Werder und VfB sind, dazu mit Leverkusen die Trottel der letzten Saison.

Wahre Jammertäler gibt es dagegen bei den spendablen Großeinkäufern zu bestaunen, die eigentlich die Liga aufmischen wollten und deren Manager nun auf den teuer bezahlten Spielern herumhacken, anstatt nur den Anflug eines Fehlers bei sich zu suchen. Borussia Dortmund zum Beispiel, denen ein offensichtlich antikapitalistisch angehauchter Fußballgott eine Verletztenliste eingebrockt hat, die sich, wenn Matthias Sammer sie vorträgt, wie die komplette Besetzung einer brasilianischen Telenovela anhört. Dann wäre da Schalke 04, wo der neue Supertrainer Jupp Heynckes erst mal die Mannschaft mit Werder Bremen tauschen muss, bevor so etwas wie Fußball rauskommt. Hertha BSC, wo ein böser Geist das Manuskript vom Aufstieg zum berühmten Hauptstadtklub in ein elisabethanisches Drama mit dem Arbeitstitel „Hoeneß II.“ umgeschrieben hat. Und natürlich Bayern München, eine Mannschaft, die so wirkt, als sollte sie in der Winterpause am besten komplett, inklusive Vereinsführung, im Max-Planck-Institut für Psychologie einchecken. „Turm im Sturm!“ Also, bitte!

Dabei haben sie so großmächtig getönt im Sommer. Prima Druck ausgeübt auf die Spieler, deren Schonzeit nun vorbei sei, von Ballack über Deisler bis Zé Roberto. Und munter gegen Real Madrid gehetzt, das spanische Starensemble, mit dem sie sich auf einer Stufe wähnten. Geradezu genüsslich hatte Manager Uli Hoeneß den „Zirkus“ der Beckham-Verpflichtung bespöttelt, nur um zu erleben, wie David Beckham sich nahtlos einfügte ins All-Star-Team und eine großartige Saison absolviert, während beim FC Bayern kaum jemand dem anderen unfallfrei einen Ball zuspielen kann.

Wie die Faust aufs Auge passt dazu das Gnadenlos, welches den Bayern im Achtelfinale der Champions League mit Real zuteil wurde. Auf der einen Seite die Möglichkeit des endgültigen europäischen Absturzes, auf der anderen die ideale Gelegenheit für eine seelentröstende Rehabilitation. Die Chancen stehen gar nicht mal schlecht, schließlich sind die Leute bei Real Madrid die Letzten in Europa, die noch Angst vor Bayern München haben. Außer Bremen, Leverkusen und Stuttgart natürlich.