piwik no script img

Archiv-Artikel

Lustig ist das Migrantenleben

Veit Helmers Spielfilm „Tor zum Himmel“ macht den Frankfurter Flughafen zum Erlebnispark für Flüchtlinge

Am Ende haben es immerhin vier geschafft. Flott schnurrt die geklaute Limousine auf die Frankfurter Skyline zu, auf die Belohnung nach den überstandenen Abenteuern. Lachen und Musik und „Hello Germany, guten Morgen“. Dieser Morgen ist tatsächlich gut, ganz großartig sogar, und man könnte meinen, neben den glücklichen Flüchtlingen auch den Film selbst aufatmen zu hören.

Aus dem Frankfurter Flughafen als „illegale Einwanderer“ zu entkommen ist eine Sache – als romantische Komödie mit dem Happy End zugleich eine Checkliste abgearbeitet zu haben, bei der man sich mit jedem Häkchen auf der richtigen Seite glaubt, eine ganz andere. Alles ist an Bord in Veit Helmers „Tor zum Himmel“: der Cinemascope-Glamour des Frankfurter Flughafens, sein Untergrund in Gestalt versteckter Migranten, deutsche Beamte und internationales Personal, drohende Abschiebung und lockendes Glück, Märchen und Realismus, Liebe über kulturelle Grenzen, Bollywood und russische Seele sowie ein dramatisches Fluchtfinale, als ob Emir Kusturica eine „McGyver“- Folge inszeniert hätte.

Alles muss gut werden in dieser Geschichte, und damit das auch klappt mit der von uns abgenickten Einwanderung, sind erst mal sowieso schon alle gut. Ohne Fehl und Tadel ringen die Flüchtlinge um ihre Existenz in Deutschland, was zunächst den Frankfurter Flughafen meint. Hier putzt die jugendliche Inderin Nisha (Masumi Makhija), während sie auf einen Karrieresprung hofft und darauf, einmal ihren kleinen Sohn Assis nachzuholen. Da begegnet sie auch schon dem jungen, athletischen Russen Alexej (Valera Nikolaev), der auf der Flucht aus dem Abschiebungslager des Flughafens in die Tiefen der Heizungsanlagen entkommen ist. Er wird einer der „Sklaven des Heizungsmonteurs“, deren Charakter und Sprachkenntnisse vom Allerfeinsten sind: Man spricht Deutsch. Dass Alexej sich einst als Soldat in Tschetschenien weigerte, „bei Säuberungsaktionen mitzumachen“ und dabei außerdem noch „einen Offizier verprügelte“, versteht sich da von selbst.

Das Tollste an diesen Supermigranten ist aber, wie sie neben ihrer Reinheit auch noch ganz freimütig sowohl ihre kulturellen als auch ihre geschlechtlichen Identitäten vorzeigen – oder eben das, was man sich dazu so ausdenken mag. Wo Nisha als indische Frau von Familie und Stewardessenauftritten im Bollywood-Format träumt, darf Alexej Pilot werden wollen, beherzt die Initiative übernehmen und notfalls mit ein paar Testosteronschüben und Ausrastern den Tag retten. Nebenbei muss Sotigui Kouyaté als spiritueller Sidekick auf dem Flughafen wie ein afrikanischer Catweazle umherspuken, gegen den die biestigen, gesichtslosen BGS-Beamten schön blöd aussehen können.

„Hier ist es schlimmer als im Knast“, pflegt Alexej über seine Flughafenexistenz zu sagen. Was wir zu sehen bekommen, ist das genaue Gegenteil. Unbeschwert sind die Nächte auf diesem Abenteuerspielplatz, und die abgestellten Boeings stets geöffnet für lauschige Treffen. Warum nicht mal ein herrlich verrücktes Stelldichein mit Bordkino? Hätte Veit Helmers Film nicht im Internierungslager des Flughafens begonnen und kreiste die Erzählung nicht irgendwie auch um Abschiebung, würde vielleicht weniger auffallen, wie frei und freundlich es auf diesem Flughafen größtenteils zugeht. Dies ist nicht der Ort, an dem laut einer Anklage des Europarats vom März 2003 „exzessive Gewalt“ vom Bundesgrenzschutz an Abschiebehäftlingen verübt wird. Dies kann nicht der Frankfurter Flughafen sein, auf dem die Asylbewerber Kola Bankole und Aamir Ageeb während ihrer Abschiebung gewaltsam zu Tode gebracht wurden. Und dies müsste er vielleicht auch gar nicht sein, würde der unerwartete Tod von Alexejs Freund Amadou (Anthony Okungbowa) nicht am Ende genau darauf anspielen. Indem sich „Tor zum Himmel“ selbst diese Volte nicht verkneifen kann, macht die Komödie umso sichtbarer, wie sehr sie allen alles sein will, ohne dabei eine eigene Position einzunehmen. Das Herumirren zwischen stereotypen Projektionen und realem Unrecht wird spätestens dann unerträglich, wenn von einer Gewalt die Rede sein soll, die dieser Film nicht zeigen kann.

JAN DISTELMEYER