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Archiv-Artikel

Das Findorffer Justiz-Fließband

Szenen aus dem Bremer Arbeitsgericht, wo im Viertelstundentakt verhandelt wird. Zehn Richter stemmen sich der Klageflut in Zeiten der konjunkturellen Malaise entgegen und versuchen, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu vermitteln

„Herr Rechtsanwalt, wir sollten es nicht verkomplizieren“, sagt die Richterin

Bremen taz ■ Das Bremer Arbeitsgericht liegt in einem zugigen Winkel am Anfang der Findorffstraße. Von hier aus sieht man die Züge in den Hauptbahnhof donnern, es ist laut und unwirtlich. Welch ein Unterschied etwa zur majestätischen Trutzburg des Landgerichts an der Domsheide. In den grauen Gängen lassen riesige Topfpflanzen schlapp ihre Blätter hängen.

Hinter der Tür von Raum 111 arbeitet heute die Richterin Barbara Böhnke. Die zierliche, mit energischer Freundlichkeit auftretende Frau, die seit über 30 Jahren Bremer Arbeitsrichterin ist, versucht es erst einmal im Guten. Diese „Güteverhandlungen“ führt eine einzige Richterin alleine durch. Heute hat Frau Böhnke, laut dem Aushang vor der Tür, Güteverhandlungen von 8.45 Uhr bis 12.30 Uhr zu leiten, und zwar nonstop, im Viertelstundentakt. 700 Klagen muss ein Bremer Arbeitsrichter im Jahr abarbeiten, die Belastung ist immens. Bereits im letzten Frühjahr hatte das Gericht öffentlich geächzt, dass „die Grenze des Erträglichen überschritten“ sei. Geholfen hat es nichts.

„Wir haben jetzt Kaiser (Name von der Red. geändert)“, sagt die Richterin und wendet sich einem jungen Dachdecker zu, der vor ihr sitzt, den Blick stier auf seine Unterlagen gerichtet. Wegen angeblich „fehlerhafter Durchführung von Dachdeckerarbeiten“ hat ihm sein Chef gekündigt. Kurz wird der Sachverhalt erörtert, dann geht es bei Richterin Böhnke ruckzuck. Verhandelt wird ohne jeden rhetorischen Zierrat. „Herr Rechtsanwalt, wir sollten es nicht verkomplizieren“, sagt Böhnke gerne. Das mit den handwerklichen Fehlern lässt sich so einfach nämlich gar nicht beweisen. Also einigen sich alle Beteiligten rasch, aus der verhaltensbedingten eine „betriebsbedingte“ Kündigung zu machen. Der junge Mann erhält eine Abfindung von 3.500 Euro und ein „wohlwollendes, qualifiziertes, seinem beruflichen Fortkommen dienliches Zeugnis“, das – auch das spricht die Richterin gleich in ein Diktaphon – „die Note ‚stets zur vollen Zufriedenheit‘ beinhaltet“. Der Vergleich wird noch rasch „vorgespielt und genehmigt“, man wünscht sich gegenseitig „frohe Weihnachten“, dann wartet die „nächste Sache“ auf Barbara Böhnke.

Im Bremer Arbeitsgericht arbeiten derzeit zehn Richter, sechs Frauen und vier Männer. Die Arbeitsbelastung sei „seit mindestens drei Jahren konstant hoch“, sagt Böhnke. Doch im Bundesdurchschnitt stehe das Bremer Arbeitsgericht damit „noch ganz gut da“. Von einer Personalaufstockung aufgrund der Klageflut – gerade in Zeiten einer miesen Konjunktur – redet niemand, auch das Justizressort muss ja sparen. Man könne froh sein, „wenn frei werdende Richterstellen wieder besetzt werden“, sagt Böhnke.

Zwei Verhandlungstage pro Woche hat die Richterin derzeit. Mehr als „20 Sachen pro Tag“ macht sie „auf keinen Fall, sonst wird man verrückt“. Scheitert eine solche Güteverhandlung, muss eine „Kammer“ über den Fall beraten. Dann sitzen zwei ehrenamtliche Laienrichter neben Frau Böhnke, ein Arbeitgeber, ein Arbeitnehmer.

Hat sich denn etwas geändert während ihrer vielen Berufsjahre beim Arbeitsgericht? „Klar“, sagt Richterin Böhnke, „früher hatten Arbeitgeber mehr Geld, um großzügige Abfindungen zu zahlen“. Auch Arbeitnehmer hätten eine Kündigung eher hingenommen, da die Chance auf einen neuen Arbeitsplatz viel größer gewesen sei. Heute bekommt sie auf die Frage „Wollen Sie bei dem Betrieb unbedingt weiterarbeiten oder eine Abfindung?“ schon einmal die Antwort: „Die Frage ist zu luxuriös.“Markus Jox