: „Das ist dann auch die Hölle“
Johannes Schmock
Der Gynäkologe Johannes Schmock macht als einer der wenigen niedergelassenen Frauenärzte in Berlin Ultraschall-Feindiagnostik an Babys im Mutterleib. In seiner Neuköllner Gemeinschaftspraxis mit Schwerpunkt Pränataldiagnostik zeigt er Eltern in 3-D-Bildern ihr werdendes Kind – ob gesund, ob krank. Geboren 1951 im Schwarzwald, studierte Schmock zunächst Chemie und Biologie, ehe er sich in Freiburg und Berlin zum Frauenarzt ausbilden ließ. Ein Gespräch über den Beginn des Lebens, den Spaß an der Arbeit, Schwangerschaftsabbrüche, Himmel und Hölle in seiner Praxis, Zusammenbrüche, grazile Bewegungen im Fruchtwasser, das Geheimnis und die Schönheit der Föten
INTERVIEW PHILIPP GESSLER UND ROLF LAUTENSCHLÄGER
taz: Herr Schmock, Sie haben hier in diesem Raum sehr teure, faszinierende Hightech: Ab wann sieht man auf diesen Schirmen etwas von Leben, von einem werdenden Mensch?
Johannes Schmock: Ab der 5. Woche der Schwangerschaft.
Und was sieht man da?
Man sieht den Embryo, etwa 3 Millimeter groß. Ab der 6. Woche erkennt man schon die Herzaktion. Aber es ist noch nicht mehr als ein Strich zu sehen, weder Arme noch Beine sind darstellbar.
Ab wann ist es für Sie ein Mensch?
Ein Mensch in dem Sinne, dass man menschliche Strukturen besser sehen kann, etwa ab der 9.Woche. Da kann man Arme und Beine erkennen und auch schon den Kopf vom Rumpf unterscheiden.
Ist das nicht eine philosophische Frage, ab wann der Fötus ein Mensch ist?
Doch.
Und wie beantworten Sie diese Frage für sich? Ab der Befruchtung?
Ja, ab der Befruchtung. Nach der Befruchtung entwickelt sich der Embryo, später der Fötus, mit all seinen positiven und negativen menschlichen Potenzen.
Was heißt das in Bezug auf den Schwangerschaftsabbruch, wenn Sie sagen, es ist von Anfang an ein Mensch?
Nun, das heißt, dass aus meiner Sicht die Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch willkürlich ist. Sie dient dazu, Leid von einzelnen Frauen und Familien abzuwenden, das entstünde, wenn die Schwangerschaft ausgetragen würde. Aber natürlich gibt es auch nach der 14. Schwangerschaftswoche Probleme, die im Einzelfall einen Schwangerschaftsabbruch aus medizinischer Indikation unumgänglich erscheinen lassen.
Macht es Spaß, jeden Tag in einem ganz dunklen Raum zu sitzen und immer auf den Bildschirm zu schauen, acht Stunden lang?
Ja, das macht Spaß. Manchmal schaue ich auch länger als acht Stunden auf den Monitor.
Aber ist dieser Raum nicht auch manchmal Himmel und Hölle zugleich?
Natürlich.
Wann ist er die Hölle?
Wenn die Frauen mit kindlichen Fehlentwicklungen konfrontiert sind. Das ist das Hauptproblem. Wenn eine Erkrankung zu sehen ist – das zu vermitteln ist schwer.
Wie gehen Sie mit einer solchen Situation um: Eine Frau und ihr Partner kommen. Sie hoffen auf ihr Glück und dann stellt man eine Erkrankung fest. Oder wissen Sie davon schon vorher?
Ja, manchmal ist schon vor der Untersuchung der Verdacht auf eine Fehlbildung erhoben worden. Normalerweise entdecke ich in der Regel relativ schnell, wenn mit dem Kind etwas nicht in Ordnung ist. Dann versuche ich erst mal, mir einen Gesamtüberblick zu verschaffen. Nach Abschluss der Untersuchung, das heißt, wenn ich das Kind vollständig untersucht habe, erkläre ich, was zu sehen war und was die erhobenen Befunde bedeuten.
Wie genau sagen Sie das dann?
So weit wie möglich. Wenn es beispielsweise Hinweise auf Trisomie 21 gibt, dann bespreche ich mit den Frauen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für diese Erkrankung ist. Sie müssen dann entscheiden, ob sie zur weiteren Abklärung noch eine Fruchtwasserpunktion brauchen.
Machen Sie das auch so bei anderen Fehlbildungen, mit der Frau erst nach der Untersuchung zu sprechen?
Ich spreche natürlich regelmäßig mit der Schwangeren oder mit dem Paar während der Untersuchung über das, was zu sehen ist, wenn es unauffällig ist. Bei Fehlbildungen und sonstigen Störungen sollte der Untersucher sich zunächst gründlich von der gesamten Situation ein Bild machen, bevor er darüber spricht, weil sonst sehr unklare Situationen entstehen können. Wenn der Frau etwas auffällt und sie sagt, dass das doch merkwürdig aussehe, dann sage ich auch während der Untersuchung etwas dazu, bitte aber um Geduld in Bezug auf die Gesamtbeurteilung.
Erlebt man da Zusammenbrüche?
Ja, natürlich. Gerade wenn Menschen überhaupt nicht darauf eingestellt waren und plötzlich sieht man eine Erkrankung, die nicht behandelbar ist, die eine extreme Behinderung oder einen frühen Tod bedeuten würde, dann erlebt man das massiv. Und das ist dann auch die Hölle, ja. Aber nicht immer, manche Leute lassen gar nichts raus. Dann kommt der Zusammenbruch wahrscheinlich zu Hause.
Geben Sie denn bei jedem Gespräch auch einen Rat, der nach vorne geht?
Wenn das Problem komplex ist, holen wir zunächst noch eine zweite Meinung bei einem weiteren Spezialisten ein. Oft biete ich weitere Beratung durch einen Humangenetiker sowie psychologische Begleitung durch einen kompetenten Berater an. Es gibt jedoch auch diagnostisch einfach zu beurteilende Situationen. Anenzephalie etwa – diese Kinder haben kein Großhirn, nur ein Stammhirn. Sie sind nicht ohne medizinische Hilfe lebensfähig.
Haben Sie das schon einmal erlebt?
Ja, Anenzephalie ist eine Erkrankung, die ich schon ein- oder zweimal im Jahr diagnostizieren muss. Dann sage ich, dass ich es für unzumutbar halte, die Schwangerschaft bis zum Ende führen zu müssen. Ich habe noch nicht erlebt, dass eine Frau gesagt hätte, sie wolle ihr Kind mit dieser schweren Fehlbildung zur Welt bringen. Auch hier ist meiner Erfahrung nach psychologische Betreuung notwendig.
Haut Sie das manchmal um, schlimme Diagnosen stellen zu müssen?
Ja.
Was kann man da machen, wenn die Frau in Tränen ausbricht?
Man kann ihre Hand nehmen und das Weinen zulassen. Ich habe erlebt, dass ein junger Mann, als seine Partnerin anfing zu weinen, gesagt hat: „Du musst jetzt nicht weinen.“ Ich habe gesagt: „Natürlich können Sie jetzt weinen. Das ist in Ordnung, das darf sein.“ Und manchmal muss man selber weinen.
Können Sie sich im Gegensatz dazu noch über gute Ergebnisse freuen, oder ist das Routine?
Aber sicher kann ich mich freuen. Gott sei Dank entwickeln sich 95 Prozent aller Kinder normal.
Das bedeutet, fünf Prozent sind geschädigt. Eine hohe Zahl, oder?
Leider bewegt sich das in diesem Level. Hinzu kommen noch die Fälle, wo man nicht genau weiß, wie sich das Kind entwickeln wird. Das ist nicht unproblematisch für uns Mediziner und manchmal sehr schwierig zu erläutern. Etwa dann, wenn ein Organ nicht normal aussieht und man erklären muss, dass das Risiko für Trisomie 21 zum Beispiel dadurch erhöht ist und zugleich vermitteln will, dass das Kind höchstwahrscheinlich dennoch gesund sein wird. Im Kopf der Eltern kommt da zuerst nur „Behinderung“ an oder „mein Kind muss was haben“. Da hilft nur eine ganz sorgsame Beratung weiter.
Wie wäre Ihre Entscheidung, wenn Sie erfahren würden, dass Ihr Kind Trisomie 21 hat? Was würden Sie Ihrer Frau raten?
Ich selbst, fragen Sie? Ich würde mit meiner Frau alles besprechen, aber die letztendliche Entscheidung für oder gegen eine Abtreibung kann ich ihr nicht abnehmen. Ich persönlich hätte große Probleme mit einer Abtreibung in einer solchen Situation.
Leisten Sie bei Paaren dahingehend Überzeugungsarbeit?
Nein, das sehe ich nicht als meine Beratungstätigkeit an. Es ist auch nicht meine Aufgabe, mein Weltbild auf andere zu projizieren.
Finden Sie, dass Föten im Ultraschall-Bild schön sind?
Ja, natürlich.
Was fasziniert Sie daran?
Am schönsten finde ich immer noch die Gesichter der Kinder. Dann die Hände und Finger, optisch ist das ein Erlebnis. Ebenso wenn sie sich im Fruchtwasser grazil bewegen.
Denken Sie manchmal, ich darf da nicht reinschauen? Das Kind ist und hat ein Geheimnis?
Ja, das denke ich manchmal. Und ich mache mir Gedanken, was es heißt: „Jetzt gucken wir da rein.“ Das ist schon merkwürdig, wir schauen ungefragt ein Kind an, das zudem nichts davon mitbekommt.
Ist Ihre Arbeit nicht auch Ausdruck eines modernen Kontrollwahns? Auch der kleinste Fötus muss kontrolliert werden? Es soll ja nichts passieren, was wir nicht wissen?
Sie kann dazu gemacht werden. Die eigentliche Zielrichtung ist eine andere. Man will Leid verhindern für das Kind und die Eltern und mit der Vorsorge bei einem gesunden Kind die Eltern beruhigen. Eine „Überkontrolle“ sollte möglichst vermieden werden.
Leisten Sie dem gesellschaftlichen Normalitätsdruck auch Vorschub?
Vom Ergebnis her möglicherweise. Die Intention der Pränataldiagnostik, der PND, ist jedoch – wie schon gesagt – die Vermeidung von Leid.
Aber Sie schieben doch die Kugel mit an, die bis in die Richtung Manipulation rollen kann.
PND bedeutet immer wieder die Beratung eines individuellen Paares mit dem Ziel, in einer schwierigen Situation Hilfestellung zu geben. Auswirkungen unserer Arbeit auf die Gesellschaft sind natürlich nicht auszuschließen – aber aus meiner Sicht in Kauf zu nehmen.
Was halten Sie von pränataler Chirurgie?
Die sollte nur gemacht werden, wenn man der Meinung ist, dass ein Kind ohne Operation mit einer deutlich schlechteren Lebenserwartung zur Welt käme oder sonst gar keine Lebenschance hätte. Das sind aber extreme Einzelfälle und oft genug Verzweiflungstaten, verbunden mit einem hohen Risiko für die werdende Mutter. Aber wenn die Eltern das wollen …
… gibt es keine Grenzen für Sie?
Derzeit fällt mir aus medizinischer Sicht keine Grenze ein, sofern es bei einer Behandlung eindeutig um die Vermeidung von Leid geht.
Sind diese Wesen im Mutterleib für Sie Geschöpfe?
Auf jeden Fall. Sie bewegen sich und man sieht sie zum Beispiel lächeln. Sie können hören, etwas sehen, und Untersuchungen von ungeborenen Zwillingen haben gezeigt, dass sich die Kinder unterschiedlich verhalten und dieses Verhalten auch nach der Geburt zeigen.
Haben Sie Ehrfurcht vor dem Wunder des Lebens?
Ja, und das sage ich auch gelegentlich. Besonders dann, wenn Menschen kommen und die tolle Technik bewundern. Dann sage ich ihnen, dass das eigentliche Wunder das werdende Leben ist.